Montag, 3. August 2009

Tralafitti reloaded

Wo gehobelt wird, da fallen, vor allem in der Wahlkampfzeit, auch Späne - zuletzt gestern auf Abgeordnetenwatch, als der SPD-Bundestagsabgeordnete Schwanholz auf die Frage eines Forenteilnehmers, welche die Sachkompetenz des MdB bei der Abstimmung über das Internetverhinderungsgesetz in Zweifel zog, mit der Nicht-Antwort "Sie gehören anscheinend der Generation 'Keine Kinderstube' an." konterte. Man kann sich jetzt darüber streiten, ob bei den nicht gerade als knickerig zu bezeichnenten Abgeordnetenbezügen nicht wenigstens zu erwarten wäre, dass sich der Dr. Volksvertreter zu einer Äußerung hinreißen lässt, die grob in Richtung einer Antwort geht. Man könnte sich auch fragen, ob jemand, der sich ganz bewusst um ein Amt beworben hat, das naturgemäß Kontakt mit allen Teilen des Volkes - also auch den etwas unfreundlicheren - bedeutet, nicht professioneller reagieren sollte, wenn es etwas härter zur Sache geht, aber auf der anderen Seite sollte sich ein Fragesteller auch über den Unterschied zwischen einer Frage und einer Beschimpfung im Klaren sein.

Damit kein Missverständnis entsteht: Die aktuelle Zensurdebatte ist auch in meinen Augen in erster Linie der Streit zwischen der Online- und der Offline-Welt, und meine Sympathien sind klar bei den Onlinern. Ich meine auch, dass die Zensurbefürworter auf ganz grundlegende Art nicht wissen und nicht wissen wollen, wie das Netz technisch und ideologisch funktioniert, und ich habe keine Schwierigkeiten damit, das auf meinen persönlichen Pöbelseiten deutlich zum Ausdruck zu bringen. Es gibt aber einen Unterschied zwischen einem Blog und einem Forum wie Abgeordnetenwatch, das von seiner Ausrichtung klar dem Dialog dient. Wenn ich mit und nicht über einer Person sprechen möchte, dann ist es taktisch klug, die Gegenseite bei Laune zu halten. Wenn ich mich hinstelle und sage: "Na Kerl, eigentlich bis du es gar nicht wert, mit mir zu reden, studier erst einmal irgendwas mit Computern, lern erst einmal einige Dutzend technische Akronyme, bevor ich dich ernst nehme", brauche ich mich nicht zu wundern, wenn mein potenzieller Gesprächpartner zum ehemaligen Gesprächspartner wird.

Seit Verabschiedung des Internetverhinderungsgesetzes streiten sich die Netzaktivisten, ob man mit der Gegenseite überhaupt noch reden soll. Beide Positionen sind meiner Meinung nach verständlich: Die Einen sagen, die Art, wie die parlamentarische Kaste in der Debatte mit ihren Gegnern umgesprungen sei und natürlich insbesondere das Abstimmungsverhalten habe sie in einem Maß disqualifiziert, das bis auf weiteres jeden weiteren Dialog ausschließt. Sie fühlen sich von Politprofis ausgebootet, denen Volkes Stimme schon lange nur noch als lästiges Krakeele vorkommt. Veranstaltungen wie die Martin Dörmanns in Köln nehmen sie als Versuche wahr, die Zensurgegner endlich auf Linie zu bringen und das Ganze auch noch wie einen Dialog aussehen zu lassen. Aus ihrer Sicht ist die Tür zugeschlagen. Falls überhaupt noch etwas geändert werden kann, dann außerparlamentarisch.

Die Anderen sehen ihre einzige verbliebene Chance, die Situation noch irgendwie zu retten, in der beharrlichen und immer wieder stattfindenden Verhandlung. Natürlich habe der Gegner sich diskreditiert, sagen sie, aber genau deswegen müsse man fortfahren, ihn überzeugen zu wollen. Geduld bis an die Grenze der Lächerlichkeit - eine Tugend, die bei so manchem Friedensnobelpreisträger zu Recht gelobt wird.

Im Prinzip geht es um die Frage, ob man der parlamentarischen Demokratie noch über den Weg traut. Was mich anbelangt, habe ich große Zweifel, aber da ich auch gesehen habe, dass selbst Revolutionen nur über den Namen des Despoten, nicht über die Despotie an sich entscheiden, nehme ich schulterzuckend hin, dass man wohl mit den Despoten reden muss. Sieht man sich den Beruflichen Hintergrund unserer über 600 Bundestagsabgeordneten an, stellt man fest, dass es in Berlin vor Juristen, Lehrern sowie Beamten nur so wimmelt und IT-Fachleute Mangelware sind. Wenn man denen allen Ernstes mit einem Vokabular kommt, mit dem man sich an der Uni durch die Seminare geblufft hat, lautet deren ganz natürliche Reaktion: "Bubb, hier hast' zehn Cent, kauf dir ein reales Leben - in deinem Fall reicht schon ein ganz einfaches - und komm wieder zu mir, wenn du reden gelernt hast."

Der Klarheit halber noch einmal: Ich meine, dass die amtierende Familienministerin aus dem Amt gefegt gehört, weil sie mit aller Gewalt die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts mit Maßstäben aus der Zeit der Ringelspiele, Matrosenanzüge und zu siezender Eltern messen will. Die Phase, die eigentlich der Entscheidungsfindung hätte dienen sollen, hat sie damit verschwendet, sich vorjubeln zu lassen, wie großartig ihre Position doch ist und anders lautende Meinungen mit einer Ignoranz abzubürsten, die Zweifel an ihrer Befähigung aufkommen lassen, in einer Demokratie ein Ministeramt auszuüben. Munter wirft sie mit frei erfundenen Behauptungen um sich, und wenn man sie zwingt, ihre Phantastereien mit Fakten zu untermauern, entdeckt die Expertin fürs Grobe auf einmal den Feingeist in sich und möchte niemanden "öffentlich an den Pranger stellen". Nur unter Auferbietung all meiner Naivität vermag ich in solchem Verhalten keinen versuchten Wählerbetrug sondern einfach nur die Grenze der Peinlichkeit überschreitende Inkompetenz zu erkennen. Für sie und eine fraktionsübergreifende Riege von Betonköpfen sind Menschen- und Bürgerrechte nicht Grundlage dieses Staates, sondern Luxusgüter einer übersättigten Gesellschaft, derer man sich jetzt besser entledigt.

Womit wir wieder beim Thema demokratischer Dialog wären. Es liegt in der Natur der Machthaber, Macht haben zu wollen und sie nicht freiwillig abzugeben - was dazu führt, dass Freiheit etwas ist, das man nicht geschenkt bekommt, sondern sich verdient. Macht ist eine Droge. Wer erst einmal abhängig von ihr wurde, verliert seine Skrupel beim Kampf um seine tägliche Dosis. Rufen Sie sich Kanzler Schröder nach der verlorenen Wahl im Jahr 2005 in Erinnerung, als er sich in einer Fernsehrunde schlicht weigerte, das Wahlergebnis anzuerkennen und fröhlich herumposaunte, er bleibe weiterhin Kanzler, egal ob er die Mehrheit habe oder nicht. Selbst Helmut Kohl, der vielen Kritikern als die verkörperte Arroganz der Macht erscheint, hatte 1998 noch genug Verstand, um die Fraktionsstärken von Schwarz-Gelb und Rot-Grün miteinander zu verleichen und zu erkennen, welche Zahl größer ist.

Keine Regierung hat jemals kritisch auf ihre angehäufte Macht geäugt, sich nachdenklich am Kopf gekratzt und gesagt: "Hm, sieht so aus, als hätten wir es übertrieben. Das ist nicht gut für eine Demokratie. Wir sollten wieder etwas davon abgeben." Nein, das Volk musste sich das, was ihm genommen wurde, wieder zurückerobern. Früher ging sowas mit Fackeln und Dreschflegeln, heute, indem man sich eine Partei sucht (notfalls auch gründet), die verspricht, im Fall des Machtgewinns einen Teil der Beute mit den Wählern zu teilen. Das geht natürlich auch nur eine begrenzte Zeit lang gut, womit sich der Kreis schließt, aber darum geht es mir im Moment nicht. Wichtig ist, dass Volksvertreter tendenziell Universalisten und keine Spezialisten sind. Das heißt: Wenn ich will, dass diese Menschen für mich arbeiten, muss ich ihnen erklären, was ich von ihnen erwarte und dafür notgedrungen eine Sprache benutzen, die sie verstehen - also kein Nerdgequatsche, bei dem Murray Bozinsky die Brillengläser beschlagen, sondern simples Deutsch.

Das ist einfacher als man glaubt.