Freitag, 28. August 2009

Wenn eine Regierung ihre Regierten so behandelt, als wären sie alle Terroristen,

soll sie sich nicht wundern, wenn die Untertanen eines Tages dieser Erwartung nachkommen.

Der Satz ist noch nicht fertig geschliffen, aber die Aussage müsste klar sein: Funktionierende Demokratien leben vom Vertrauen zwischen Regierung und Regierten. Das Volk vertraut darauf, dass ihre Führungsschicht zwar nicht immer die schlaueste Entscheidung trifft, aber immer ehrlich bleibt und das Wohl aller im Auge behält. Im Gegenzug vertraut die Regierung darauf, dass sich ihre Untertanen im Wesentlichen an die allgemeinen Gesetze halten und im Großen und Ganzen friedlich gesinnt sind.

Das Stichwort ist "friedlich". Die Bürger verzichten gegenüber der Regierung freiwillig auf einen großen Teil der Gewalt, die sie ausüben können, erwarten dafür aber, dass die Regierung die ihr verliehene Macht nutzt, um das Volk zu schützen.

Wenn Ihnen das zu abstrakt vorkommt, denken sie an Kindererziehung. Kinder können darauf vertrauen, dass ihre auf sie aufpassen. Gute Eltern vertrauen ihrerseits darauf, dass ihre Kinder nicht ständig Unsinn bauen. Als ich klein war, hieß das insbesondere, dass man ab einem bestimmten Alter spielen gehen durfte und so lange daheim keinen Ärger hatte, wie man pünktlich und wohlbehalten wieder zurück war.

Das System funktionierte. Zwar habe ich mich mitunter an Orten herumgetrieben und Leute getroffen, die meinen Eltern absolut nicht gefielen, aber die Regelverstöße hielten sich in Grenzen. Genau so funktioniert Vertrauen.

Zu meiner Zeit gab es keine Mobiltelefone, mit denen meine Eltern mich ständig erreichen und fragen konnten, wo ich gerade bin. Keiner fand dies besonders schlimm. Verbrecher, Drogenhändler, Schlägertypen und Kinderschänder gab es auch zu meiner Zeit, und offenbar waren sie bedrohlich genug, dass der Hamburger Verkehrskasper dem Thema "Mitschnacker" eine ganze Hörspielplatte widmete. Wir Kinder waren gewarnt: Geht nicht mit Unbekannten. Das System funktionierte. Natürlich las man gelegentlich schlimme Dinge in der Zeitung, aber im täglichen Leben fühlte sich keiner ernsthaft gefährdet.

Heute kann man kleine Peilsender kaufen und seinen Kindern mitgeben, damit man im Internet deren Aufenthaltsort auf wenige Meter genau feststellen kann. Sich an verbotenen Orten herumtreiben und mit verbotenen Freunden treffen gehört damit der Vergangenheit an. Gut, man kann die Sender untereinander tauschen, aber das fliegt spätestens beim nächsten Kontrollanruf auf.

Mit den Peilsendern sind unsere Kinder in perfekter Sicherheit, oder? Nein, in Wirklichkeit verweigern wir ihnen das Recht, freie Menschen zu werden, wir verweigern ihnen das Recht, eigene Entscheidungen zu fällen und zu lernen, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Anstatt ihnen zu vertrauen, zweifeln wir jeden ihrer Schritte an und bewerten jeden Schlenker, den sie auf dem Nachhauseweg einschlagen, auf mögliche Regelverstöße.

Nun mag es etwas vermessen sein, die Regierung in die Eltern- und das Volk in die Kinderrolle zu stecken. Das Bild hinkt, insbesondere, weil das Volk wohl kaum etwas von der Regierung lernen muss. In einen Punkt stimmt das Bild aber: Das Volk erwartet von der Regierung eine gewisse Fürsorge. Wenn ich schon nicht selbst mit dem Vorderlader herumlaufen darf, um mich vor Tätlichkeiten zu schützen, erwarte ich von der Regierung, dafür zu sorgen, dass die Gefahr für mich möglichst gering ist. Das heißt insbesondere, dass ich nicht nur möchte, dass ein Verbrecher für seine Tat bestraft wird, sondern dass es gar nicht erst zur Tat kommt. Die Regierung, genauer die Exekutive, muss also verdächtiges Verhalten rechtzeitig erkennen und eingreifen.

Was aber ist nun genau "verdächtig"? Ist es nicht besser, möglichst früh einzugreifen, damit Verbrechen möglichst wenig vorkommen? Schnell erreicht man eine Grenze, ab der sich die Erfolgsquote der Verbrechensbekämpfung nur noch geringfügig verbessern lässt, egal, wie viel man investiert. Trotzdem bleibt der öffentliche Druck bestehen. Das ist der Moment, in dem man von wahrer Sicherheit auf simulierte Sicherheit übergeht. Dann hängt man eben an jeder Straßenecke eine Kamera auf. Dadurch wird zwar kein einziges Verbrechen verhindert, aber man vermittelt wenigstens den Eindruck emsiger Betriebsamkeit. Dann nimmt man eben von jedem Bürger Fingerabdrücke, protokolliert automatisch, mit wem er telefoniert oder Mails austauscht und versucht, das zu unterbinden, was der normale Internetnutzer bekanntlich den ganzen Tag macht: Schweinkram gucken. Auf den Computern installierte Spionageprogramme sorgen dafür, dass Verbrechen ruchbar werden, noch bevor der Täter sich selbst darüber im Klaren ist, es überhaupt begehen zu wollen. Keiner soll sagen, die Regierung unternähme nicht alles Mögliche im Kampf gegen das Böse.

Der normale Bürger weiß doch gar nicht, was wirklich gut für ihn ist, und wenn er es weiß, ist er ein Verbrecher, so die Logik. Folglich ist jeder auf irgendeine Weise verdächtig und muss geschützt werden, im Zweifelsfall vor sich selbst. Die Regierung traut niemandem mehr, vor allem nicht den Regierten.

Die Regierten wiederum werden langsam stutzig. Moment Freunde, wir wollten doch, dass ihr uns schützt, und auf einmal behandelt ihr uns genau so, wie diejenigen, vor denen ihr uns eigentlich schützen sollt. Wir sind die Guten, was soll der Unfug? Ihr könnt uns doch vertrauen.

Niemand wird gern wie ein Verbrecher behandelt, und ein ganz natürlicher Gedanke lautet: Wenn ihr mich schon so behandelt wie ein Verbrecher, dann bedeutet es keinen Unterschied, wenn ich tatsächlich einer bin. Nichts anderes besagt die Überschrift dieses Artikels.

Einige Leute meinen, ich wolle mit diesem Satz drohen. Nun, wenn Sie die Schlechtwetterprognose des Deutschen Hydrografischen Instituts für eine Drohung halten, haben Sie natürlich Recht. Ich selbst hingegen sehe den Satz als eine Warnung an.