Dienstag, 22. September 2009

Sprich mir nach

Falls ich es nicht schon gesagt haben sollte: Es ist Wahlkampf, und da gibt es reichlich Gelegenheit, im Rahmen von Diskussionsveranstaltungen herauszufinden, wer in den kommenden vier Jahren meine Interessen ignorieren wird. Als Nerd spitze ich bei solchen Veranstaltungen natürlich besonders dann die Ohren, wenn es um das zur Rettung unseres Seelenheils dankenswerterweise ins Leben gerufene Internetverhinderungsgesetz geht. Die Argumente und Behauptungen sind hinlänglich bekannt, reichlich Zeit also, sich bei den Debatten weniger für den Inhalt, sondern die Form zu interessieren.

Hierbei fällt mir auf, wie wir von den Zensurbefürwortern gezwungen werden, deren Neusprech-Vokabular zu benutzen. Wehe, wenn wir es wagen, Zensur beim Namen zu nennen, dann jammern sie herum, wie gemein wir zu ihnen wären, das sei doch keine Zensur, sondern genüge allenfalls der Definition von Zensur, was bekanntlich etwas ganz Anderes wäre, und das fänden sie total fies, dass wir ihnen so etwas unterstellen, und das würden sie Mami sagen, und dann kommt die, und dann schimpft die ganz doll und - oh, schon die Zeit um? Ich glaube, damit habe ich Ihre Frage beantwortet. Die einzige Chance, diese Tiraden zu vermeiden, besteht darin, den Ärger runter zu schlucken, von "Sperren" zu reden und sich das Lächeln anzusehen, das in allen Sprachen der Welt heißt: "Siehst du, ich kann dich nicht nur zwingen, das zu sehen, was ich will, ich kann dich sogar zu sagen zwingen, dass du das ganz toll findest."

So funktioniert Macht: durch entsprechende Wortwahl den Gegner bereits vor der Auseinandersetzung in die Defensive zwingen. Das funktioniert seit Jahrzehnten. Beispielsweise spricht das Grundgesetz in Artikel 4 Absatz 3 vom "Kriegsdienst", trotzdem werden die Leute, die ihn verweigern "Wehrdienstverweigerer" genannt. Aus "Krieg" wird auf einmal "sich wehren", und dagegen können ja nur völlige Idioten etwas haben. Aus "Studiengebühren" werden "Studienbeiträge" - naja, seinen Beitrag wird ja wohl jeder leisten, oder? Aus dem "elektronischen Krankenschein" wird die "Gesundheitskarte", was nicht nur verzerrt, sondern sogar noch inhaltlich falsch ist. Ich gehe ja nicht zum Arzt, weil ich gesund, sondern weil ich krank bin.

Was mich stört, ist weniger die Tatsache, dass Sprache nicht zur Übermittlung sondern zur Verschleierung von Informationen missbraucht wird. Was mich stört, ist die Tatsache, dass mich die Regierung zwingen kann, diese Sprachpanscherei auch noch mitzuspielen und ansonsten das Gespräch verweigert. Wenn mich die Verkäuferin bei Starbucks fragt, ob ich den Coffee of the Week to go tall, grande oder venti haben will, reicht es, wenn ich meinen Ausweis zücke und sage: "Mädel sprich deutsch mit mir, denn das ist die Amtssprache des Landes, auf dessen Boden wir beide uns gerade befinden. Wenn mein Geld auch nur in die Nähe deiner Kasse kommen soll, dann gibst du mir einen großen Becher Kaffee, Darreichungsform: heiß und jetzt." Die Starbucks-Verkäuferin begreift sowas, weil sie mir etwas verkaufen möchte. Der Bundestagsabgeordnete, der meine Bürgerrechte einschränken und dafür von mir gewählt werden möchte, ist beleidigt, wenn ich ihm das nicht abkaufen möchte.

Sieht so eine funktionierende Demokratie aus?