Montag, 10. Mai 2010

Wahlen abschaffen!

Seien wir ehrlich: Wahlen schaden in letzter Zeit mehr als sie nützen. Was, lieber Wähler, soll denn dieses Durcheinander in Nordrhein-Westfalen?

Die CDU hat eine kräftige Watschn kassiert - eine Watschn, die der amtierende Ministerpräsident ruhig persönlich nehmen darf, waren es doch seine Fotos und bestimmt keine Inhalte, die in den letzten Wochen auf Großplakaten das Stadtbild prägten. "Der Garant", "unser Ministerpräsident" - das ist selbst für einen an intellektuellen Höhenflügen üblicherweise armen Wahlkampf arg wenig. Auf der anderen Seite: Was hat Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen eigentlich so sehr verschusselt, dass die CDU gleich ein Fünftel ihrer Wähler verliert?

Dje SPD wiederum irrt sich gewaltig, wenn sie sich für die Gewinnerin der Wahl hält. Sie hat nicht gewonnen, sie hat nur weniger verloren. Ein Vertrauensbeweis, den Hannelore Kraft am Wahlabend frohgemut verkündete, sieht anders aus.

Die FDP kann enttäuscht sein, weil sie auf ein zweistelliges Ergebnis hoffte. Statt dessen verharrt sie auf ihren Werten aus dem Jahr 2005. Ein gewisser Teil mag auf das Gehampel des Außenministerplatzhalters in Berlin zurückgehen, aber vielleicht sollte man beim Vergleich von Europa- mit Kommunal- mit Bundestags- mit Landtagswahlen wirklich vorsichtig sein. An der FDP liegt es jedenfalls nicht, dass Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr hat.

Die GrünInnen etablieren sich  immer mehr als Nachfolgepartei der SPD. Wer heute eine moderat linksorientierte, kämpferische, zukunftsorientierte Partei mit einer erkennbaren, inhaltlich nachvollziehbaren Linie sucht, wählt grün.

Die Linke ist als weitere Auffangorganisation enttäuschter Sozialdemokraten endgültig eine bundesweit wahrnehmbare Partei. Zählt man die Ergebnisse von SPD, GrünInnen und Linken zusammen, erhält man die Ergebnisse, welche die SPD einst aus eigener Kraft erzielte.

Das Abschneiden der Piratenpartei ist zwar ganz manierlich, in einigen Städten sogar respektabel, insgesamt aber hatten die Piraten im vergangenen Wahlkampf deutliche Schwierigkeiten, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. An den Plakaten und den fleißig betreuten Informationsständen kann es nicht gelegen haben. Es fehlte einfach ein klares Aufregerthema wie bei der Bundestagswahl die Internetzensur. Anscheinend nimmt man die Partei als Protestoption für IT-Themen wahr, aber sie gilt noch nicht als inhaltliche Alternative bei allgemeiner Landespolitik.

Wie sieht es mit möglichen Koalitionen aus? Schwarz-Rot? Bewahre, dann können wir den Landtag gleich für die nächsten fünf Jahre schließen. Mit Demokratie hätte das, was dort mit Dreiviertelmehrheit ausgeklüngelt wird, auf jeden Fall nichts mehr gemein. Einziger Trost: Aus Großen Koalitionen gehen Kleinparteien häufig gestärkt hervor, und wenn das auf Kosten der reformunfähigen Politsaurier aus den 50ern des letzten Jahrhunderts geht, kann dies der Demokratie nur nützen.

Jamaica? Daran glaubt im Moment offenbar niemand ernsthaft.

Ampel? Ich bezweifle, dass eine Partei, die Bürgerrechte als ihre angebliche Kernkompetenz in den letzten Jahren konsequent ignoriert und sich hauptsächlich um Steuergeschenke für Spitzenverdiener gekümmert hat, ein konstruktiver Koalitionspartner sein könnte, aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren. Die nationale Streusalzreserve war doch schon einmal ein großartiger Ansatz, sich um die wirklich drängenden Fragen der Nation zu kümmern.

Yps reloaded, also known as Rot-Rot-Grün? Hand aufs Herz: Wenn Sie unbedingt an die Macht wollen, Ihnen ein Sitz fehlt und Sie die Chance hätten, vielleicht mit einer Koalition, zumindest aber mit einer Tolerierung durch eine als Schmuddelkind verschrieene Partei an die Macht zu gelangen, wie lange widerstünden Sie den verführerischen Einflüsterungen, in Wirklichkeit wollten Sie und der Wähler doch das Gleiche, man müsse den mit Sicherheit folgenden Sturm der Entrüstung nur durchstehen und bei der nächsten Wahl sich die Bestätigung für eine an sich richtige Entscheidung abholen? Ich tippe auf maximal einen Monat.

Was den in den Parlamenten vertretenen Parteien leider fehlt, ist die Fähigkeit, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. In einer gut funktionierenden parlamentarischen Demokratie sollte es eigentlich möglich sein, sich die Mehrheiten für seine Vorhaben zusammenzusuchen. Statt dessen hocken die jeweiligen politischen Blöcke in Lauerstellung und warten nur darauf, den Gegner zu erlegen. Wenn es denn die riesigen inhaltlichen Unterschiede wenigstens gäbe, die ein solches Taktieren rechtfertigen. In Wirklichkeit liegt man doch inhaltlich so eng beieinander, dass Journalisten sich schon fast traditionell einen Spaß daraus machen, den Leuten Passagen aus den Wahlprogrammen vorzulegen und raten zu lassen, wer die wohl geschrieben haben könnte. Die Fehlerquote ist immens. So gesehen finde ich es gar nicht einmal so verwerflich, wenn vor allem die GrünInnen sich immer wieder schwarz-grüne Optionen offen halten. In fünf Jahren wenigstens ein paar Positionen durchsetzen zu können erscheint ihnen attraktiver als fünf Jahre Opposition. Diese Rechnung geht zwar nicht unbedingt auf, aber die Haltung ist nicht so verwerfllich, wie sie manchem im Lagerdenken erstarrten Altlinken vorkommen mag.

Drei Schlüsse scheinen mir aus dieser und den vergangenen Wahlen zulässig. Erstens: Die Zeit der Volksparteien könnte langsam ihrem Ende entgegen gehen. Wie ich schon mehrfach schrieb, halte ich das für eine gute Entwicklung. Zu sehr haben sich die Großparteien darauf verlassen, dass sie anstellen können, was sie wollen, die Stammwähler hielten zu ihnen. Die Geduld der Stammwähler scheint ausgereizt. Sie gehen zu den Parteien, die inhaltlich klarere Positionen vertreten.

Zweitens: Was früher als "politische Umwälzung" oder "Erdrutsch" bezeichnet wurde, wird immer mehr zur Regel. Zwischen zwei Wahlen kann eine Partei mittlerweile durchaus zehn Prozentpunkte verlieren oder gewinnen. Zusammen mit dem ersten Schluss heißt dies: Man kann sich nicht mehr auf die Treue der Wähler verlassen. Ihre heiße und innige Liebe kann innerhalb weniger Wochen auch schon wieder vorbei sein. Das hat Vor- und Nachteile. Einerseits zwingt es die Parteien, genauer in Richtung Wähler zu horchen, andererseits birgt es die Gefahr, unpouläre, aber sinnvolle Entscheidungen zu verschleiern oder ewig aufzuschieben, weil man die baldige Quittung fürchtet.

Demokratisch äußerst bedenklich finde ich Äußerungen, die aus Kreisen der SPD immer wieder geäußert wurden: Die Wähler der Kleinstparteien hätten Rot-Grün die Mehrheit gekostet. Das ist rechnerisch wahr, aber wo steht doch bitte gleich geschrieben, dass es die heilige Wählerpflicht ist, entweder die CDU oder die SPD ins Regierungsamt zu hieven? Vielleicht haben die Wähler der Kleinstparteien sich etwas dabei gedacht, als sie ihre Stimme eben nicht einem der großen Blöcke anvertrauten. Möglicherweise ist es naiv, Wahl für Wahl seine Hoffnung auf eine politisch am Rande der Bedeutungslosigkeit lavierenden Bewegung anzuvertrauen, aber genau so haben die jetzt verdient mächtigen GrünInnen auch einmal angefangen. Veränderungen beginnen mitunter sehr klein, aber daraus zu schließen, dass sie ewig klein bleiben, ist offenbar Unsinn.

Drittens: Politik findet immer mehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die unterhaltsamen Balken am Wahlabend mögen über die sehr bedenkliche Tatsache hinwegtäuschen, dass die ganzen prozentual großen Wählerwanderungen in absoluten Zahlen immer geringer ausfallen. Nicht einmal 60 % der Wahlberechtigten glauben noch, irgendetwas mit ihrer Stimme bewirken zu können. Egal, welche Konstellation den nächsten Regierungschef stellen wird, er oder sie wird kaum ein Drittel der Wahlberechtigten hinter sich haben. Demokratische Legitimation sieht anders aus.

Manchmal wünsche ich mir, dass man im Wahllokal einen Zettel ausgehändigt bekommt, der während der Legislaturperiode zur politischen Meinungsäußerung berechtigt. Wer diesen Zettel nicht hat, muss während der kommenden fünf Jahre die Klappe halten - kein dümmliches Gejammere über die "bösn Bollidiggers, die eh nur mache wasse wolle, abber uff de klaane Mann, da heere die do obbe ja nemmer", kein Geschrei nach dem weißen Ritter, nach der alles erlösenden großen Reform, die alles darf, nur einem selbst nichts abverlangt. Was meinen Sie, was ein notorisch klugschwätzendes, aber sich niemals an der politischen Willensbildung beteiligendes Wahlvolk vor den Wahllokalen Schlange stünde.

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