Dienstag, 18. Januar 2011

Die Zeugen Jehovas der Kommunisten

Manchmal kann ich verstehen, was Trolle dazu bringt, im Heiseforum irgendwelchen Blödsinn abzulassen und dann zuzusehen, wie sich die selbsternannten Heilsapostel an einem abarbeiten. Das kennen Sie nicht? Lesen Sie einfach einen Artikel, in dem es um Linux geht, und suchen Sie einen Kommentar, der massiv rot gefärbt wurde, mehr Antworten als alle anderen Kommentare zusammen hat und sich im Wesentlichen auf die Aussage beschränkt: "Linux ist der letzte Mist. Ich finde Windows viel besser." Es sind immer die Gleichen, die darauf antworten, und es ist immer das Gleiche, was sie schreiben. Richtiger wird es leider auch durch die ständige Wiederholung nicht. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich bin leidenschaftlicher Linuxanwender, aber ich begründe es nicht wie die Hysteriker aus dem Heiseforum.

Ähnlich ist es mit politischen Ansichten. Zwar kann ich mit den Begriffen "links" und "rechts" nicht viel anfangen, aber müsste ich mich festlegen, ich hielte das linke Gewäsch für weniger haltlos als das rechte.

Das heißt nicht, dass ich nicht mit Wonne auf linkes Gedankengut eindresche, einfach um zu sehen, wie reflexhaft einige Apologeten reagieren. Kürzlich probierte ich es hiermit:

"Wieviele Millionen müssen eigentlich noch verrecken, bis der letzte Depp begreift, dass der Kommunismus eine dumme Idee ist?"

Na, da tobt aber die Blogosphäre. Wie ich mir denn so etwas anmaßen könne - der gute Kommunismus, der sei doch das Heil schlechthin für die geknechteten Massen.

Ach so, Moment. DDR, Kuba, Nordkorea, Ukraine, Litauen, Lettland, Estland, Polen, Ungarn, Tschechoslowakei, Albanien, Russland, Jugoslawien, China, Nordkorea, Vietnam, Rumänien, Kasachstan, Weißrussland, um nur die Namen zu nennen, die mir auf Anhieb einfallen - alles Beispiele, wie toll der Kommunismus funktioniert hat.

Das war ja auch kein Kommunismus.

Sondern?

Ja, irgendwas Anderes halt. Auf jeden Fall hat der F-äh Marx so etwas nicht gewollt.

Ah, deswegen schrieb er auch von - wo hab ich's doch gleich:

"Indem wir die allgemeinsten Phasen der Entwicklung des Proletariats zeichneten, verfolgten wir den mehr oder minder versteckten Bürgerkrieg innerhalb der bestehenden Gesellschaft bis zu dem Punkt, wo er in eine offene Revolution ausbricht und durch den gewaltsamen Sturz der Bourgeoisie das Proletariat seine Herrschaft begründet."

"Die politische Gewalt im eigentlichen Sinne ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer andern. Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt..."

"Es kann dies natürlich zunächst nur geschehen vermittelst despotischer Eingriffe ... Konfiskation des Eigentums aller Emigranten und Rebellen... Gleicher Arbeitszwang für alle, Errichtung industrieller Armeen..."

"Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung."


Sieht so das kommunistische Paradies aus?

Das hat Marx gar nicht so gemeint.

Naja, er hat es im "Kommunistischen Manifest" so geschrieben.

Sie merken schon, da wird die Luft langsam dünn. Weil er natürlich nicht zugeben will, dass, wo gehobelt wird, auch Späne fallen, veweist der linke Denkabstinenzler noch einmal darauf, dass die ganzen oben aufgezählten Staaten keine kommunistischen Regimes darstellten, sondern sich nur in verbrecherischer Weise darauf beriefen.

Damit ich es richtig verstehe: Da sitzen also in jedem Land so ein paar hinterhältige Verräter, die nur darauf warten, dass da eine kommunistische Revolution losbricht, und dann - schwupps - das Ruder übernehmen?

So ungefähr, ja.

Dann frage ich mich aber, warum Marx seitenweise davon schreibt, dass die von ihm beschriebenen Ereignisse unausweichlich und mit praktisch naturgesetzmäßiger Stringenz eintreten, aber bisher alle diese mit der Präzision eines Uhrwerks ablaufenden Prozesse im Gulag endeten?

Oh, "Gulag" hört der linke Gralsritter überhaupt nicht gern. Also, der Gulag, der gehört hier ja nun wirklich nicht rein, den hat Marx nirgendwo gefordert.

Das ist tatsächlich wahr, so viel Phantasie hatte selbst Marx nicht. Wenn man aber auf die oben genannten Zitate blickt, bekommt man den Eindruck, dass er ihn auch nicht so furchtbar schlimm gefunden hätte. Zumindest drückt er sich in einer Weise aus, dass man sich nicht wundern muss, wenn die von ihm inspirierten Staatschefs in der Wahl ihrer Mittel nicht gerade zimperlich waren.

Auf die Gefahr, mir jetzt die letzten Sympathien zu verspielen, treibe ich die Sache noch ein Stückchen weiter: Es ist mir vollkommen egal, wessen Fahne auf dem Lager weht, es interessiert mich nicht die Bohne, im Namen welcher Ideologie die Leute zu Tode geprügelt, geschunden und gehungert werden. Ja, ich weiß, Nationalsozialismus und Kommunismus sind zwei völllig unterschiedliche Lehren, aber mit Verlaub: Glauben Sie, es interessiert die Leute, in wessen Namen sie verrecken? Ermordete sind Ermordete, und ob sie nun wegen einer von vornherein völlig indiskutablen Idee wie den Nationalsozialismus oder einer im Kern vielleicht gar nicht einmal so dummen, aber nur unter völlig spinnerten Voraussetzungen funktionierenden Idee wie dem Kommunismus ermordet wurden, ist zumindest mir komplett egal.

Da hätten wir nämlich einen weiteren gebetsmühlenartig vorgetragenen Einwand: Der Mensch sei noch nicht reif für den Kommunismus. Nun, Marx sah das offenbar anders, und wenn man davon ausgeht, dass der Mensch sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht zurückentwickelt hat, kann man getrost annehmen, dass wir genau die Menschen sind, die Marx im Kopf hatte und dass er einfach unrealistische Annahmen traf.

Doch selbst, wenn man all dies beiseite lässt, wenn man einfach annimmt, dass der Kommunismus tatsächlich in der von Marx ersonnenen Form eintreten könnte, kann ich Ihnen zwei Punkte nennen, warum ich diese Lehre ablehne:

Erstens ignoriert Marx die Unterschiedlichkeit der Menschen. Er verkennt das Individuum. In seinem Weltbild gibt es keine verschiedenen Begabungen und Bedürfnisse, es gibt nur die amorphe Masse.

Zweitens gibt es im Marxismus diese völlig unreflektierte und irrationale Romantisierung der Arbeit. Arbeit ist was ganz Tolles. In der Arbeit, da erst verwirklicht sich der Mensch, da wir er quasi erst zum Menschen.

Unsinn. Wissen Sie, was alle Leute, die ich kenne, wollen? Essen, Ruhe, Spaß, Kleidung, Gesundheit, Liebe, Freundschaft, eine schöne Wohnung, Frieden - was weiß ich. Arbeit kommt in ihrer Liste allenfalls als notwendiges Mittel vor, um wenigstens an einen Teil dieser Dinge zu gelangen, aber wenn sie das alles geschenkt bekämen, nähmen sie es auch an. Einige wenige genießen das Privileg einer Arbeit, die ihnen Spaß bringt und nebenher auch noch für den Lebensunterhalt sorgt, aber wenn Sie die Supermarktkassierin fragen, ob sie zur Not auch ohne Arbeit auskäme, wenn sie ihr sonstiges Leben weiter führen könnte, wäre sie schneller von der Kasse weg, als Sie den Satz beenden könnten.

Was ich statt der kläglichen Nummer: "Wir picken uns irgenein sich kommunistisch nennendes Regime heraus, und wenn auch sie es wieder einmal vermasseln, kann es einfach kein Kommunismus gewesen sein, weil der nämlich per definitionem ganz furchtbar lieb ist" seit Jahrzehnten vergeblich erwarte, ist ein Satz der Art: "OK, ich kenne da eine Weltanschauung, die in den letzten Jahrtausenden Millionen Menschenleben gekostet hat, die Kriege, Folter, Mord und Unterdrückung zu verantworten hat, deren Anhänger sich ebenfalls auf Schriften beziehen, die angeblich belegen, wie unglaublich segensreich diese Weltanschauung ist, in denen aber ebenfalls reihenweise Stellen vorkommen, in denen Krieg, Mord, Verrat, ja sogar Genozid als probate Mittel angepriesen oder wenigstens billigend zur Kenntnis genommen werden. Immer, wenn diese Weltanschauung in der Praxis wieder einmal versagt hat, behaupten deren Apologeten, man habe nicht im richtigen Sinne gehandelt. In demütiger Geduld harren sie seit Jahrtausenden darauf, dass ihre Zeit endlich kommt, und sie finden immer abenteuerlichere Ausreden, warum es so lange dauert und warum vom großen Heil noch nichts zu sehen ist. Diese Weltanschauung nennt sich Christentum, aber ich könnte mir auch den Islam, das Judentum oder irgendeinen anderen Glauben an eine transzendente Macht nehmen, die sich auf dem Papier als Heilsbringer anpreisen, in der Praxis oft genug Elend über die Menschheit brachten."

Anfangs hatte ich vermutet, dass die Anhänger des Kommunismus so stolz auf ihren angeblich so rationalen Atheismus sind und einfach nicht genügend Ahnung von Theologie haben um diese Gemeinsamkeit zu bemerken. Inzwischen vermute ich, der Grund ist ein anderer. Wenn sie den Vergleich mit Religionen zuließen, müssten sich die Kommunisten mit in den großen Topf irrationaler Ideen begeben, müssten zugeben, dass sie auch nur eine Heilslehre unter vielen vertreten, die genau so wie alle anderen auf mehr oder minder unbegründeten Annahmen aufbauend einen Weg beschreibt, der funktionieren kann aber auch ein erhebliches Missbrauchsrisiko birgt. Diese Profanisierung seines vermeintlich wissenschaftlich fundierten Weltbilds ließe ein wahrer Kommunist natürlich nie zu.

Die Wahrheit ist ernüchternd und langweilig: Jedes Wundermittelchen zur Erlangung des Paradieses birgt einen wahren Kern, aber der Versuch, es in seiner reinen Form umzusetzen, führt dazu, dass alles, was nicht ins Bild passt, sagen wir: beiseite geschafft wird. Kapitalismus funktioniert zu einem gewissen Grad, aber in letzter Konsequenz bedeutet er zerstörte Natur und Kinder, die in Bergwerkstollen zu Hungerlöhnen arbeiten. Kommunismus bedeutet, die Macht der Besitzer des Kapitals zu brechen, endet aber in Gleichmacherei und Schauprozessen gegen Regimegener. Christentum (als Platzhalter für Ihre jeweilige Lieblingsreligion) bedeutet, dass sich die Menschen mit gegenseitigem Respekt behandeln, endet aber in Zwangstaufen und Kreuzzügen gegen Ungläubige.

Als Gegenentwurf habe ich die einzige Weltanschauung zu bieten, die bereits im Kern keinen Ansatz zum Fanatismus bietet: Kompromissmus. Ich habe noch die Prozessionen von Leuten erlebt, die mit wild blitzenden Augen skandierten "Also äh, lasst es und, hm, tja ich weiß nicht, naja - hinbiegen." und dem heiligen Duct Tape huldigten. Nie ist ein Mensch in ein Lager gewandert, weil er im Gegensatz zu den Anderen seine Aufgabe etwas ordentlicher erledigen wollte.

Ich weiß, das ist ein kläglicher Vorschlag, und ich habe ihn auch nicht ganz ernst gemeint. Kompromisse sollten nicht das sein, was man von Vornherein anstrebt, sondern das, was in den meisten Fällen herauskommt. Was ich aber vollkommen ernst meine ist dies: Wenn Ihnen jemand die eine, vollkommene und allgemein gültige Heilslehre präsentiert, lachen Sie ihn aus.

"People shouldn't be afraid of their government. 
Governments should be afraid of their people." 
(V for Vendetta)