Dienstag, 3. Dezember 2013

Scheindemokratische Schauabstimmung

Wie ich bereits schrieb, halte ich die SPD-Mitgliederbefragung zur größten Koalition aller Zeiten für eine gute Sache. Es werden ohnehin schon wenig genug Leute gefragt, was sie von dieser Idee halten, da sehe ich es als ein Zeichen guten Stils, zumindest die knappe halbe Millionen Genossinnen um ihr Votum zu bitten. Je länger ich mir aber die Durchführung ansehe, desto mehr fühle ich mich an die DDR-Volkskammerwahlen erinnert. Das Ergebnis steht bereits jetzt fest, eine tatsächliche Auseinandersetzung findet nicht statt, und es geht nur noch darum, das Ja möglichst eindrucksvoll ausfallen zu lassen.

Zu diesem Behufe finden gerade bundesweit Mitgliederversammlungen statt, deren einziger Sinn darin besteht, das Fußvolk mit einer vorgegebenen Musterrede einzuschwören. Danach gibt es ein paar Minuten, in denen sich die üblichen Stänkerer Luft und das Gefühl verschaffen dürfen, es denen da oben mal so richtig gegeben zu haben. Die Parteioberen versuchen derweil wenigstens einigermaßen den Eindruck zu hinterlassen, das Gequatsche interessiere sie auch nur ansatzweise, um dann mit einem Appell an die Solidarität zuverlässig alle Sachargumente zu übersteuern. Entsprechend staatstragend geben sich die so Gehirngewaschenen. Es ginge darum, Verantwortung zu übernehmen. Wesentliche sozialdemokratische Forderungen seien nach zähem Ringen in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden. Die SPD bewege sich auch keineswegs noch weiter nach rechts, immerhin habe man der Linkspartei zu verstehen gegeben, dass man ihr möglicherweise - nach einer angemessenen Entschuldigung - zu verzeihen bereit sei, dass sie als einzige in Parlamenten vertretene Kraft noch alte sozialdemokratische Werte vertrete. Stimme man jetzt mit "nein", hafte einem auf Jahre der Ruf der Regierungsunfähigkeit an. Außerdem trete in diesem Fall der gesamte Parteivorstand zurück, dann müsse man die alle neu wählen. A propos Neuwahlen: Die gäbe es dann auch für den Bundestag, und wie die für die SPD ausgingen, könne man sich ja vorstellen. Damit gar nicht erst der Eindruck entsteht, die Parteiführung sei wirklich an der Meinung ihres Parteistimmviehs interessiert, liegt übrigens den Briefwahlunterlagen ein Schreiben bei, das keinen Zweifel daran lässt, was von Leuten zu halten ist, welche die Niedertracht besitzen, mit "Nein" zu stimmen.

Worte reichen nicht aus, um mein Maß der Verachtung auszudrücken. Leute, seid doch wenigstens ehrlich. Die Option, dass eure Obermuftis bald wieder Regierung spielen dürfen, lässt euch schweißnasse Hände bekommen. Endlich können unsere dicken alten Macker sich wieder vor die Kameras stellen und den Wichtigen markieren. Endlich darf die SPD aus dem Kinderplanschbecken heraus und wieder bei den Großen mitschwimmen. Endlich dürfen die Genossinnen sich wieder an den Hebeln der Macht wähnen.

Der zweite Punkt ist das einzige Merkmal, welches sich die SPD noch aus ihrer Zeit als Arbeiterpartei erhalten hat: das Führerdenken. Schumacher, Wehner, Brandt, Vogel, Schmidt, Schröder, Steinbrück - die SPD steht auf Kerle, die so richtig sagen, wo's langgeht, zu denen man aufblicken kann. Das heißt zwar nicht, dass sie nicht nach Kräften an diesen Leuten herumkritteln, aber wenn es ernst wird, steht die Partei wieder wie ein Mann hinter ihnen. "Geschlossenheit zeigen" heißt das im Parteijargon. Schröder hat gegen Ende seiner Kanzlerschaft beinahe schon die Frage nach der Uhrzeit mit einer Rücktrittsdrohung verbunden, und statt dass die Partei diesen drittklassiken Politdarsteller mit einem gewaltigen Tritt nach Russland zu den anderen lupenreinen Demokraten kickt, vollführt sie das Einzige, was sie wirklich gut kann: einen Kotau. Himmel, der Führer könnte uns verlassen - alles, nur das nicht.

Die CDU ist nach Kohl in ein tiefes Loch gefallen, aus dem sie sich aber bemerkenswert schnell wieder befreit hat. Die SPD hingegen hat den Schock, den sie nach der Wende 1982 erlitt, bis heute nicht wirklich verarbeitet. Auch Schröders Kanzlerzeit bildet da keine Ausnahme, wurde er doch nicht etwa gewählt, weil die Leute ihn so furchtbar toll fanden, sondern weil sie Kohl und Stoiber noch viel weniger leiden konnten. Seit 37 Jahren dümpelt sie - von zwei Ausnahmen abgesehen - in respektvollem Abstand hinter der CDU her. Seit 31 Jahren begreift sie nicht, dass Regieren kein Selbstzweck ist und dass man vielleicht doch einmal darüber nachdenken sollte, ob 25 % Wählerstimmen für eine Partei, die sich so gerne "Volkspartei" nennt, nicht etwas wenig sind - egal, ob das zur Regierungsbeteiligung reicht oder nicht.

Die SPD hat sich bereits einmal an Merkel die Finger verbrannt, doch statt daraus die Lehren zu ziehen und entweder eine CDU-Alleinregierung oder Rot-Rot-Grün auszuprobieren, lassen sie sich von der Meisterin der Machtspiele erneut über den Tisch ziehen. Was jetzt kommt, ist bekannt: Vier Jahre lang wird sich die SPD vorführen lassen, während über all dem die fürsorglich lächelnde Kanzlerin schwebt.

Die SPD-Basis wird den Koalitionsvertrag ergeben abnicken, so wie sie bisher alles devot bejubelt hat, was die Parteispitze ihnen vorgab. Jede Zustimmungsrate unter 80 % wäre eine Überraschung. Immerhin geht es doch darum, einen Massenrücktritt zu verhindern. Die Frage, was so schlimm daran wäre, diese politischen Erpresserinnen vom Podium zu jagen, stellt niemand. "Ja, aber die haben wir doch eben erst frisch gewählt." Oh, das beeindruckt mich unglaublich.

Der Abstand zur Fünf-Prozent-Hürde wird kleiner.

Freitag, 29. November 2013

Wie kann man nur die Basis fragen!

Die SPD mauschelt mit der CDU einen Koalitionsvertrag zusammen, der selbst für die niedrigen Standards, die man bei den beiden ehemaligen Volksparteien anlegen kann, allenfalls mäßig ausgefallen ist, und wie immer, wenn die Parteispitze keine Verantwortung für ihre Taten übernehmen will, kommt sie plötzlich auf die Idee, ihre Basis, die über Jahrzehnte darauf trainiert wurde, alle Kapriolen ihrer Führungsriege blind zu bejubeln, um ihre Meinung zu bitten. Diesmal soll es um die Frage gehen, ob die große Koalition eingegangen werden soll, und obwohl von Anfang an klar ist, dass auch diesmal die Genossen ihre einzige Funktion darin sehen werden, die Partei mit einem machtvollen Votum gestärk in die Regierungsverantwortung zu schicken (oder welchen verbalen Griff in die rhetorische Mottenkiste man sich diesmal leistet), schäumen der künftige Koalitionspartner und die Presse, es ginge ja nun gar nicht an, dass ein paar hunderttausend Parteimitglieder die Geschicke des Landes entscheiden könnten.

Doch, genau das geht.

Das passiert nämlich ständig, und niemand regt sich darüber auf. Wenn irgendeine Partei ihr Wahlprogramm verabschiedet oder ihre Kanzlerkandidatin kürt, wenn ein Parteitag eine Grundsatzentscheidung trifft, mit der sie ihre Vertreterinnen in die parlamentarischen Debatten schickt, sind das Voten, die sogar noch von deutlich weniger Menschen an jeder Kommunal-, Landtags- oder Bundewahlurne vorbei zustande kommen. So sieht es nun einmal aus, wenn Parteien als Mittel der politischen Willensbildung fungieren.

"Aberaber die Wahl, da hat der Wähler doch der CDU/CSU/SPD einen glasklaren Regierungsauftrag erteilt."

Und solche Typen dürfen wählen. Hör mal, Depp, siehst du dir eigentlich den Stimmzettel auch nur grob an, bevor du dein Kreuzlein hinrotzt? Steht da irgendwas von "Koalition"? Nein, da steht in der linken Spalte was von Direktkandidaten und in der rechten was von Listen. An keiner Stelle kann man sagen, welche Parteienkombination in Koalitionsverhandlungen treten soll. Mit Sicherheit wollten die meisten Wählerinnen die CDU an der Regierung sehen, aber ob sie nicht vielleicht eine Koalition mit der AfD und den Piraten lieber als die mit der SPD gesehen hätten, weiß niemand, nicht einmal die groß herumtönenden Meinungs"forschungs"institute, deren Erfassungsmethoden ihnen lebenslange Hausverbote in allen mathematischen Seminaren einbringen könnten. Auch wenn es überraschen mag - die einzig valide Meinungumfrage findet am Wahltag selbst statt, und wer aus der Stimmenverteilung irgendwelche Koalitionsaufträge herauslesen zu können behauptet, ist entweder dumm, ein Scharlatan oder ein Politiker - im Zweifelsfall alles zusamen.

Ich habe kein Problem damit, dass die Mitglieder einer Partei, die ich nicht gewählt habe, über die Zusammenarbeit mit einer anderen Partei, die ich ebenfalls nicht gewählt habe unter einem Regierungsprogramm, dem ich niemals zugestimmt hätte, entscheiden. Ich bin seit Jahrzehnten in der Opposition und habe einige Übung darin, zumindest die schlimmsten Auswüchse der Regierung durch Protest zu verhindern. Das werden wieder einmal vier sehr unterhaltsame Jahre.

Donnerstag, 28. November 2013

Grünes Demokratieunverständnis

Offenbar herrscht auch bei den Grünen die Auffassung, man müsse eine möglichst idiotische Behauptung nur lange genug wiederholen, damit sie irgendwann wahr wird. Diesmal ist es die fixe Idee, freie und demokratische Wahlen seien Firlefanz und sollten durch Proklamation ersetzt werden.

Ganz so dämlich sagen sie es natürlich nicht, sie schreiben es etwas anders: "Keine Stimme verschenken: Wer Linkspartei oder Piraten wählt, wacht mit Bouffier auf" Lässt man das peinliche Detail weg, dass genau die Partei, die hier so groß herumtönt, sich gerade in Koalitionsverhandlungen mit genau der Partei befindet, die sie hier noch verhindern zu wollen vorgibt, offenbaren Sätze wie diese eine äußerst bedenkliche Vorstellung, wie Demokratie funktionieren sollte und sind bei den Grünen leider kein Einzelfall. Die Argumentation ist etwa diese: Wer eine Partei wählt, die entweder Gefahr läuft, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern oder an einer möglichen Koalition zur Ablösung der gegnerischen Regierung nicht teilnimmt, verhilft gerade dieser Regierung zur Macht. Das ist nicht einmal rechnerisch wahr, denn es hieße, dass ein Wahlergebnis schon vor der Wahl feststeht und dass man ein Ereignis, das ohnehin eintreten wird, verändern kann, indem man ein anderes Ereignis, dass dazu geführt hätte, verändert. Der letzte Satz war vollkommener Quatsch und ergibt nicht einmal ansatzweise Sinn? Willkommen bei dem, was Grüne unter Denken verstehen.

Erstens: Wahlprognosen haben die Neigung, sich selbst zu erfüllen. Gerade bei den Wahlergebnissen der Piraten sieht man das sehr gut. Wer befürchten muss, dass seine Partei es nicht ins Parlament schafft, wird wahrscheinlich lieber eine andere Partei mit größeren Chancen wählen. Immerhin will man seine Stimme ja nicht "verschenken". Umgekehrt kommen die versteckten Symphatisantinnen einer Partei dann herbeigelaufen, wenn der Einzug ins Parlament gesichert scheint.

Zweitens: Was meint ihr IQ-befreiten Basisdemokratinnen eigentlich, wofür Eure Vorfahren lang und blutig das allgemeine Wahlrecht erstritten haben? Geht es vielleicht in eure Ökorüben, dass eine Piraten- oder Linksparteiwählerin gar nicht primär das Ziel hat, irgendwen abzuwählen, sondern eine neue Politik herbeizuwählen? Vielleicht wollen die weder einen Schäfer-Gümbel, noch einen Bouffier, sondern ein starkes Gegengewicht zu beiden. Oder, um es mit Begriffen eurer Soziosphäre zu beschreiben: Wenn ihr im Bioladen total dufte ölologisch angebaute Äpfel kaufen wollt, geht ihr auch nicht zum Discounter und kauft dort in Kinderarbeit angebautes Gammelfleisch, nur weil es billiger ist. Oder etwa doch?

Strategisches Wählen nach der Idee "Meine Partei ist ohnehin zu klein, also wähle ich lieber das kleinere Übel" ist nicht etwa schlau, sondern stellt die ganze Idee einer Wahl auf den Kopf. Ziel ist doch, herauszufinden, was die Leute am liebsten wollen, nicht, was sie zur Not akzeptieren. Ziel ist nicht, blind mit der Masse zu rennen, sondern seine ehrliche Meinung zu sagen - auf die Gefahr hin, in der Minderheit zu sein. Strategisches Wählen zementiert vor allem die bestehenden Verhältnisse, und möglicherweise ist dies das Einzige, worauf es den Grünen ankommt: die eigenen Pfründe sichern, Konkurrenz verhindern und Machtoptionen erhalten - im Zweifelsfall auch mit dem angeblichen politischen Gegner.

Dienstag, 26. November 2013

An den Vollidioten vor der U-Bahn-Tür

Ich habe Sie eben über den Haufen gerannt. Das geschah mit voller Absicht, und ich hoffe, es hat sehr weh getan. Der Grund für mein Verhalten ist sehr einfach: Sie sind ein asozialer Vollidiot, bei dem alle bisherigen Apelle, wenigstens die Grundfunktionen des eigenen Gehirns gelegentlich zu nutzen, fehlschlugen und der deshalb die einzige Methode zu spüren bekommt, die selbst bei Lebewesen am untersten Ende der Liste evolutionären Fortschritts noch funktioniert: taktile Impulse.

Wie bescheuert muss man eigentlich sein, um zu begreifen, dass die einzige Möglichkeit, in einen vollen Zug wieder Leute zu bekommen, darin besteht, erst einmal welche aussteigen zu lassen? Es mag ja sein, dass Ihre an Heroinabhängigkeit erinnernde Fixierung auf einen Sitzplatz jede höhere Erkenntnisebene blockiert, aber die simple Einsicht, dass man in ein volles Glas nicht mehr einschenken kann, habe ich schon bei Kleinstkindern erlebt. Offenbar hat der aufrechte Gang der Durchblutung Ihres Denkorgans eher geschadet.

Züge zur Hauptverkehrszeit sind eine unangenehme Sache, und die meisten Passagiere möchten möglichst wenig Zeit in ihnen verbringen. Das heißt vor allem: möglichst schnell einsteigen, möglichst schnell aussteigen. Dadurch, dass Sie sich mitten vor die Tür stellen, behindern Sie einige hundert Menschen und zögern die Abfahrt des Zugs unnötig hinaus. Intelligente Menschen bilden eine breite Gasse, damit sich der Zug schnell leert und schnell neue Leute einsteigen können. Vollidioten wie Sie haben nur eins im Schädel: "Ich. ICH. Da rein. Grunz." Appelle an Ihren Verstand können mangels Vorhandenseins nicht fruchten, daher lautet die Botschaft: "Aussteigende böse. Machen aua. Muss weg, dann kein aua."

Ich hoffe, das hat Ihnen jetzt irgendwer vorgelesen.

Mittwoch, 20. November 2013

Böse Medien. Böse, böse Medien.

Während des Bundestagswahlkampfs habe ich es ständig gehört, und jetzt geht es wieder los, diesmal vom Kanzler der Herzen, Peer Steinbrück: Die bösen Medien mit ihren Verleumdungskampagnen haben uns nicht fair behandelt. Hätten sie nicht ständig auf unwichtigen Nebensächlichkeiten herumgeritten, stünden wir viel besser da.

Das ist noch die diplomatische Version. Was man eigentlich sagen will, ist: Die schlechte Presse hat uns den Sieg gekostet.

Seien es die Piraten, die ihren Absturz aus dem Umfragenhimmel in die Bedeutungslosigkeit. oder die Sozialdemokraten, die ihr bestenfalls mäßiges Wahlergebnis irgendwie erklären wollen - Medienschelte ist nicht nur einfach schlechter Stil, sie ist ein Armutszeugnis, aus mehreren Gründen:

Erstens kaschiert sie eigene Fehler. Glaubt irgendwer ernsthaft, die Piraten säßen jetzt mit 15 Prozent im Bundestag und Steinbrück mit einer rot-grünen Mehrheit im Kanzleramt, wenn ein paar Artikel über sie schmeichelhafter ausgefallen wären? Wohlan, dann ist es jetzt Zeit für ein paar deutliche Worte, die euch vielleicht wieder auf den Boden der Realtität bringen: Der Grund für euer episches Versagen liegt in den Trampeltieren und Stümperinnen, die ihr ins Rennen geschickt habt. Er liegt in einer Politik, die kaum diesen Namen verdient, in peinlichen Selbstinszenierungen und idiotischen Selbstzerfleischungen, und es ist eine Frechheit, wenn ihr der Presse vorwerft, genau darüber zu berichten. In diesem Land herrscht so etwas wie Pressefreiheit, und wenn sich eure Truppe wie eine Rudel Schimpansen auf Koks benimmt, köpft nicht den Boten, der die traurige Nachricht überbringt.

Zweitens überschätzt ihr die Macht der Medien. Ich weiß nicht, ob ihr im vergangenen halben Jahr wirklich Medien konsumiert habt, denn dann wäre euch beispielsweise aufgefallen, wie intensiv über Snowden und den NSA-Skandal berichtet wurde. Kein Tag verging, an dem nicht Fernsehen, Radio und Zeitungen neue Enthüllungen und peinliche Details brachten. Vor allem die Kanzlerin und ihre Sockenpuppe von Innenminister gaben in dieser Zeit eine lächerliche Figur ab. Bei dieser Nachrichtenlage hätten die Piraten auf jeden Fall den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen und Zehntausende auf den Straßen für ihre Rechte demonstrieren müssen - so wie seinerzeit Fukushima den Grünen Traumergebnisse bei Landtagswahlen bescherte. Was passierte statt dessen? Nichts. Warum? Weil die Leute eben nicht hinter jeder Trommel herrennen, die von den Medien gerührt wird.

Womit wir beim dritten Punkt angelangt wären: Für wie dämlich haltet ihr eure Wählerinnen? Welches Maß an Verachtung wollt ihr ihnen noch entgegen bringen? Was für ein Weltbild habt ihr? Glaubt ihr tatsächlich, das deutsche Wahlvolk blicke morgens in die Bild, abends in die Tagesschau und übernehme blind alles, was da gesendet wird? Meint ihr nicht, dass nicht wenigstens ein Teil von ihnen, wenigstens eure eigenen Wählerinnen, so schlau ist, sich nebenher noch woanders zu informieren? Oder anders herum: Seht ihr im Stimmvieh nur eine tumbe Masse, der man mit ein wenig gut platzierter Propaganda sagen kann, was sie zu meinen hat? Ist es das, was ihr von uns denkt?

Medienschelte bewegt sich nur knapp an der Verschwörungstheorie vorbei, nur dass diesmal nicht die Freimaurer, die Rosenkreuzer, die Tempelritter, die Bilderberger, die Illuminaten oder die Bolschewisten das Zepter der geheimen Weltregierung schwingen, sondern die Journalistinnen. Ich hatte das Vergnügen, ein wenig Einblick in den journalistischen Alltag zu bekommen und kann mit Sicherheit sagen: Da regieren nicht die Weisen von Zion, sondern Auflagenzahlen, Sendeslots und vor allem: Geschichten, die sich gut erzählen lassen.

Genau das ist auch die Erklärung: Medien berichten vor allem über das, was eine gute Geschichte abgibt. und ein Spottartikel über eine trampelhafte Presseerklärung oder ein zwielichtiges Geschäft verkauft sich einfach besser als ein hundertseitiges Wahlprogramm, das keiner lesen will, weil sich am Ende ohnehin niemand dran hält.

Nein, das ist nicht fair, aber es ist das, was man im Hinterkopf haben muss, wenn man im ganz großen Geschäft mitmischen will. Wer in der Profiklasse unterwegs ist, darf sich eben nicht wie ein Laie aufführen. Dafür können die Medien nichts.

Dienstag, 5. November 2013

Oberlehrer und ihre Suchmaschinen

Es ist der 5. November, Guy-Fawkes-Day in Großbritannien und Anlass für viele Anonymous-Aktivistinnen, mit Masken aus "V for Vendetta" Aktionen durchzuführen. Twitter - inzwischen das Leitmedium für in immer größeren Mengen mit zunehmender Aufregung mit stetig wachsender Häufigkeit durchs Dorf getriebene Säue - erreicht in diesen Stunden wieder einmal die Grenzen seiner Lesbarkeit. Ich bedauere das, denn die Aktionen an sich sind bestimmt gut, doch die Penetranz, mit der ich gerade zwangsbeglückt werde, nervt etwas.

Das bin ich aber bereit zu tolerieren. Was meine Geduld wirklich strapaziert ist der Effekt, dass jede Bewegung eine Gegenbewegung hervorruft, und in diesem Fall sind es die Oberlehrerinnen, die bisher alles, worin auch nur ein Hauch von Leben steckte, erfolgreich totgeschwätzt haben. In diesem Fall haben sie - was für ihre Intelligenzstufe schon eine Leistung darstellt - eine beliebige Suchmaschine angeworfen - vorzugsweise http://www.ecosia.org/ weil man für lausige Suchergebnisse wenigstens das gute Gefühl bekommt, der Welt einen Gefallen erwiesen zu haben - und nachgesehen, wer dieser Guy Fawkes überhaupt war. Dabei hat sich herausgestellt, dass der Kerl mitnichten ein heroischer Freiheitskämpfer, sondern in Wirklichkeit ein religiöser Fanatiker war, der einen Bombenanschlag auf das britische Parlament versucht hat. Nein! Wie furchtbar! Und sowas verherrlichen diese Anonymous-Leute! Wie kann man nur! Das müssen wir sofort in diesen Twitter hineinschreiben.

Historische Figuren werden umgedeutet. Sowas gab's noch nie. Karl der Große beispielsweise gilt als die europäische Lichtgestalt. In der Tat verhalf er dem von ihm unterworfenen Gebiet zu einer kulturellen Blüte. Dass er dafür vorher Europa mit mehreren ausgeprochen blutig geführten Kriegen überzog, wird dabei gern vergessen.

Natürlich geht es auch eine Spur kleiner. Egal ob der Schinderhannes, Jesse James oder Klaus Störtebeker - immer wieder werden ganz gewöhnliche Verbrecher zu Helden umgedichtet. Ohne meiner eigenen Religion zu nahe treten zu wollen: Das gesamte Christentum sieht keine Schwierigkeiten darin, einen Religionsstifter zu verehren, von dessen historischer Person nahezu nichts aus neutralen Quellen belegt werden kann. Ich finde das auch nicht schlimm. Mitunter ist es eben interessanter, aus einer Legende oder einem idealisierten Bild Handlungsrichtlinien für das eigene Leben abzuleiten, als wenn man sich an die harten Fakten hält. Der Mensch ist nun einmal keine Lichtgestalt, sondern hat immer neben seinen vielen guten Eigenschaften auch ein paar sehr düstere Seiten, die einfach nicht als Vorbild taugen. Nehmen Sie sich Stauffenberg. Der Mann war kein Demokrat, sondern wollte eine Oligarchie herbeibomben. Egal, er wollte Hitler beseitigen. Selbst von Dietrich Bonhoeffer gibt es Äußerungen, die so gar nicht zum bedeutenden Theologen und Widerstandskämpfer passen. Was wir bewundern, ist der Mensch, der für seine demokratische, humane und friedliche Überzeugung den Tod in Kauf nahm.

Am historischen Guy Fawkes ist wenig, was man ernsthaft bewundern könnte. Selbst bei V kann man sich darüber streiten, ob seine Bombenanschläge, Folterungen und von sehr individuellen Rachegefühlen geprägten Morde im realen Leben Vorbildcharakter haben. Wenn man davon aber abstrahiert, den Widerstand gegen ein Verbrecherregime sieht und dann noch berücksichtigt, dass V niemals seine Identität preisgibt und ganz bewusst stirbt, bevor der von ihm gestartete Aufstand Erfolg hat, zeigt sich die eigentliche Botschaft: Wir brauchen keinen neuen Führer, keinen unangreifbaren, unnahbaren Superhelden, der uns sagt, wo es langgeht. Es geht darum, richtig zu handeln, egal wer.

In diesem Sinne einen schönen 5. November.

Dienstag, 22. Oktober 2013

Deutsche Büroküchen

Wenn Sie die volle Tragik der deutschen Mentalität in ihrem unnachahmlichen Kleingeist erleben wollen, werfen Sie einen Blick in deutsche Büroküchen. Dort bietet sich im Wesentlichen überall das gleiche Bild: Eine mit blitzsauberem Geschirr gefüllte Spülmaschine harrt tagelang der Leerung, während sich in der Spüle und auf der Anrichte kunstvolle Gebilde ungespülten Geschirrs stapeln. Das ist kein erfreulicher Anblick, zumal es tendenziell immer die gleichen Leute sind, welche ihrem asozialen Mitarbeiterpack den Dreck wegräumen dürfen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit diesem Zustand umzugehen:
  • einfach den Mund halten und wegräumen - die pramatische Methode, 
  • das Zeug liegen lassen und nur das eigene Geschirr spülen - die faule pragmatische Methode,
  • den eigenen Dreck dazu stellen - die kollektivasoziale Methode,
  • das dreckige Geschirr wegwerfen (ist ja schließlich Müll) - die Rock'n'Roll-Methode
  • Zettel schreiben - die deutsche Methode.
Sie werden diese - gern in Vierfarbdruck unter voller Ausnutzung des Farbraums des Druckers, der Windows-Zeichensätze und der Clipart-Sammlung, im Zeitalter der Mobiltelefonkameras auch gern mit selbst aufgenommenen Fotos der dreckigen und der aufgeräumten Küche versehenen - A4-Manifeste kennen: flammende Appelle, lustige Gedichte, wüste Beschimpfungen, weinerliche Selbstbeweihräucherungen, dass die Verfasserin es endgültig satt hat, jeden Morgen den Dreck anderer Leute zu beseitigen. Erfolg haben diese Pamphlete praktisch nie, weswegen ihr Dasein nahe eines von Fliegen liebevoll umsäuselten Müllbergs besonders pathetisch wirkt.

Eine Abart des Spülappellzettels ist der Aufruf am gemeinsam genutzen Kühlschrank, sich gegenseitig nicht die Milch zu klauen. Da wir alle ganz toll globalisiert sind, werden solche Zettel inzwischen immer häufiger mindestens zweisprachig, in der Regel also deutsch und englisch geschrieben, und hier bitte ich Sie, einen Blick auf das oben stehende Foto zu werfen. Die Aussage beider Texte ist: Finger weg von meiner Dosenmilch. Der Unterschied liegt im Ton. Während der deutsche Text im preußischen Kasernenton gehalten ist, mit rechtlichen Konsequenzen droht und nach alter Wichtigtuerinnensitte annimmt, der Wahrheitgehalt einer Aussage nehme mit der Zahl der hinter ihr stehenden Ausrufezeichen zu, so dass ein als Höflichkeitsfloskel hinterhergeschobenes "Vielen Dank" reichlich verlogen wirkt, kommt die englische Fassung viel netter daher und sagt, die Kolleginnen wären froh, wenn man gegenseitig das Eigentum der Anderen respektiere. Statt der im Deutschen nur in Rudeln auftretenden Ausrufezeichen reichen bezeichnenderweise im Englischen einfache Punkte am Satzende.

So, und jetzt fragen Sie sich bitte noch einmal, warum die Deutschen im Ausland einen so unfreundlichen Ruf haben.

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Wenn Sie auf weitere besonders gelungene Beispiele solcher Zettel stoßen, wäre ich dankbar, wenn Sie Links darauf im Kommentarbereich hinterließen.

Montag, 21. Oktober 2013

Buchkritik: Homeland

Die Geschichte geht weiter. Marcus ist inzwischen ein paar Jahre älter. Auf einem Festival spielt ihm eine ehemalige Mitarbeiterin des Department of Homeland Security einen USB-Stick mit brisanten Whistleblowerdaten zu und lässt sich von Marcus versprechen, sie zu veröffentlichen, falls ihr etwas zustieße.

Was auch prompt passiert. Die Whistleblowerin und ihr Freund werden verschleppt und Marcus steht jetzt vor der Aufgabe, das Material so zu publizieren, dass er nicht auch noch selbst Freiheit und Leben riskiert.

Das ist im Wesentlichen auch schon die ganze Handlung. Dass dies auf mehrere hundert Seiten gestreckt nicht arg dünn wirkt, liegt an den vielen Nebenhandlungen der Geschichte. Das oben genannte Festival und die dahinter stehenden Ideen werden in aller Ausführlichkeit beschrieben, so dass man viel über eine Alternativkultur erfährt. Marcus fängt an, als Webmaster im Wahlkampfbüro eines unabhängigen Senatskandidaten zu arbeiten und bekommt auf diese Weise Einblicke in den Politbetrieb. Später nimmt er an einer Großdemonstration teil und erlebt, mit welchen Mitteln die Staatsmacht praktisch jede beliebig große Menschenmenge unter Kontrolle bringt. Marcus' Eltern und damit er selbst sind in finanzielle Schieflage geraten, und man erfährt, wie in den USA die moderne Form der Leibeigenschaft funktioniert.

Von der Erzählung her wirkt "Homeland" wie der typische zweite Teil einer Trilogie (Beispiel Star Wars). Im ersten Teil entsteht der Konflikt, der zum Teil gelöst wird (Böses Imperium, gute Rebellen, Todesstern futsch, Darth Vader noch am Leben). Der zweite Teil führt die Handlung fort, ohne dass es zur entscheidenden Wende kommt (Das Imperium erringt Teilerfolge, verhaftet Han, aber die Rebellen sind weiter aktiv). Im dritten Teil kommt es zum Showdown (Imperator tot, Darth Vader wieder Anakin Skywalker, zweiter Todesstern auch futsch). Ähnlich wie man beim Abspann von "Das Imperium schlägt zurück" etwas ratlos wegen der vielen offenen Handlungsstränge das Kino verlässt, fragt man sich beim doch etwas sehr staatsbürgerlichem Ende von "Homeland", ob man das nicht auch ein paar hundert Seiten kürzer hätte haben können.

Trotz des etwas unbefriedigenden Endes halte ich "Homeland" für ein lesenswertes Buch. Es führt "Little Brother" sauber fort, ist ebenfalls sehr inspirierend, wenn man sich aus einer leicht staatskritischen Haltung heraus mit Kryptografie beschäftigt, haut einen aber nicht mehr so um wie der erste Band. Wer ein paar hacktivistische Anregungen braucht, wird an dem Buch Spaß haben.

Cory Doctorow: Homeland http://craphound.com/homeland/

Montag, 30. September 2013

Buchkritik: Little Brother

Marcus ist so, wie man sich einen US-amerikanischen Mittelschichtteenager vorstellt: Intelligent, ein wenig aufsässig, computeraffin und mit einem leichten Hang zu ungewöhnlichen Hobbies. Alle Zeichen stehen darauf, dass, hat er einmal die Klippen der Pubertät umschifft, ihm ein relativ angenehmes Leben in irgendeinem Bürojob bevorsteht. Marcus hat allen Grund, seinem Land zu vertrauen, wurde es doch praktisch für Leute wie ihn geschaffen.

Dieses Vertrauen endet schlagartig, als Marcus und seine Freunde sich zufällig in der Nähe eines Terroranschlags aufhalten und vom Department of Homeland Security aufgegriffen werden. Marcus weiß, wie ein rechtsstaatliches Verfahren aussieht, und weil ihm die verhörenden Beamten dumm kommen, beharrt er auf Einhaltung genau dieser Rechte. Das war ein Fehler.

Tagelang wird Marcus an einem unbekannten Ort festgehalten, verhört und gefoltert. Die Unschuldsvermutung gilt hier nicht mehr, das Recht auf einen Anwalt sowieso nicht. Wenn Marcus unschuldig wäre, argumentieren seine Entführer, könnte er ihnen doch alles über sich und seine Freunde erzählen. Insbesondere könnte er den Zugriffscode zu seinem Telefon herausrücken, damit das DHS nachsehen kann, was er so treibt. Marcus hat tatsächlich nichts zu verbergen, wenigstens nichts, was über klassische Jugendsünden hinaus ginge. Es passt ihm nur nicht, dass er als Unschuldiger seine intimsten Geheimnisse preisgeben soll. Doch schnell wird klar: Der einzige Weg aus dem Gefängnis führt über seine Telefon-PIN. Offiziell ist er verschollen, und das DHS kann diesen Zustand beliebig lang fortsetzen. Nach Tagen der Folter und Demütigung bricht Marcus schließlich zusammen und gibt die gewünschten Informationen.

Er wird freigelassen. Seine Daten beweisen zwar, dass er ein harmloser Junge ist, aber sie beweisen eben nicht, dass er kein Terrorist ist. Das DHS stellt klar: Er ist nur auf Probe aus dem Gefängnis und unter ständiger Beobachtung. Redet er über die vergangenen Tage oder wird in irgendeiner Weise auffällig, wird er erneut verschwinden, diesmal für immer.

Wieder draußen - "frei" kann man den Zustand nicht nennen - trifft Marcus wieder auf seine Freunde, die wesentlich früher zusammenbrachen. Nur Darryl, der beim Tumult nach dem Anschlag schwer verletzt und ebenfalls verschleppt wurde, taucht nicht wieder auf. Niemand weiß, wohin er verschwand.

Marcus reicht es. Das ist nicht das Land, dem er vertraut hat. Hier verschwinden spurlos Menschen, Gesetze gelten nicht mehr, statt dessen werden mittelalterliche Methoden angewandt, die sich inzwischen nicht nur als unmenschlich, sondern sogar kontraproduktiv herausgestellt haben. Schlimmer noch: Die Meisten begrüßen diese Maßnahmen sogar, denn es ist in Zeiten des Terrors völlig angemessen, ein ganzes Volk in Kollektivgefangenschaft zu nehmen, um eine Handvoll Terroristen zu schnappen. Bevor die unsere Verfassung abschaffen, schaffen wir sie lieber selber ab.

Marcus beschließt seinen privaten Rachefeldzug gegen das DHS. Dazu braucht er Verbündete. Er muss sich den Überwachungsmaßnahmen entziehen. Doch wie stellt man das an, wenn selbst der eigene Laptop mit einem Keylogger versehen wurde? Der Ausweg besteht in einer X-Box, deren ursprüngliches Betriebssystem gegen ein besonders gehärtetes Linux ausgetauscht wurde und auf der die wichtigsten kryptografischen Werkzeuge installiert sind.

"Little Brother" liest sich wie eine 400 Seiten lange Cryptoparty. Festplattenverschlüsselung, Tor, Chatverschlüsselung, asymmetrische Mailverschlüsselung, Keysigning - alles kommt vor, ohne dass die Geschichte zu nerdlastig ist. Doctorow beschreibt genau die Beweggründe, warum sich viele zur Zeit mit Kryptografie beschäftigen - zur Verteidigung ihrer Freiheitsrechte, als Notwehr gegen ein komplett aus dem Ruder gelaufenes Überwachungssystem, das die Terrorhysterie längst nur noch als Vorwand benutzt, um ein ganzes Volk nach Auffälligkeiten und Abweichlern durchmustern und sie beseitigen zu können.

Achtung Spoiler - Achtung Spoiler - Achtung Spoiler

Natürlich schafft es Marcus am Ende, sein Ziel wenigstens teilweise zu erreichen, aber er schafft es nicht allein mit technischen Mitteln, sondern indem er an die Öffentlichkeit tritt. Das von ihm gesponnene Vertrauensnetz erweist sich als unterwandert. Seine Gegner wissen schon seit langer Zeit Bescheid und warten nur auf den geeigneten Moment zum Zuschlagen. Der ganze technische Aufwand bot zwar einen gewissen Schutz, aber wenn man die Gesellschaft ändern will, reicht es nicht, ab und zu mit Tor zu surfen.

Spoiler Ende - Spoiler Ende -Spoiler Ende

Es ist lange her, dass ich ein Buch so inspirierend fand. Wenn mich etwas vom Lesen abhielt, war es allenfalls der Drang, am Rechner mit den im Roman angesprochenen Kryptotools herumzuspielen. Doctorow hat für sein Buch sehr gut recherchiert, und die wenigen Details, an denen er technisch nicht ganz korrekt ist, gehen ohne weiteres als künstlerische Freiheit durch. Beängstigenderweise beschreibt er auch die gesellschaftlichen Verhältnisse sehr genau und überspitzt sie nur geringfügig. Er schildert genau, mit welchen Argumenten nicht nur in den USA die Verfassung ausgehebelt wird und schreibt auch, warum diese Argumente völliger Unsinn sind, warum Freiheit und Sicherheit keine Gegensätze sind, sondern einander bedingen.

Wenn euch irgendwann Zweifel kommen, warum ihr diesen ganzen Kryptokram veranstaltet, wenn ihr euch fragt, ob ihr es nicht übertreibt und euer Aktivismus eigentlich völliger Blödsinn ist - lest dieses Buch.

Cory Doctorow: Little Brother, ISBN: 0765319853http://craphound.com/littlebrother/download/

Samstag, 28. September 2013

Mimimi

"Meine Güte, dieser Wikipediaartikel ist ja der letzte Dreck. Dazu fällt mir ja gar nichts mehr ein."

- "Schade, denn wenn mich nicht alles täuscht, hast du das Thema, um das es da geht, studiert, warum verbesserst du den Artikel nicht. Genau dafür ist die Editierfunktion da."

[nachäffend] "Genau dazu ist die Editierfunktion da - hast du gesehen, wie lange die brauchen, bis so ein Artikel freigegeben wird?"

- "Naja, das ist ein Freiwilligenprojekt. Wenn du willst, dass da was voran geht, musst du schon selbst aktiv werden. Hast du mal das Team angeschrieben, gefragt, was da los ist und deine Hilfe angeboten?"

"Ach was, seit der Relevanzdebatte habe ich die Wikipedia eh abgeschrieben."

Liest sie aber dennoch, wahrscheinlich nur, um sich darüber aufzuregen.

Der oben beschriebene Dialog verkörpert für mich alles, was die Netzkultur an Kläglichkeit zu bieten hat. Rumjammern, sich in der Rolle der einsamen Denkerin gefallen, aber bloß nichts unternehmen, um den Zustand zu ändern. Das zeigt sich bei Banalitäten wie Wikipediaartikeln, aber auch bei größeren Dingen wie beispielsweise der vergangenen Wahl.

Was bitte hat sich großartig geändert? Die CDU ist an der Macht. Meine Güte, das ist sie seit den frühen Achtzigern, sieht man von dem kurzen Schröder-Intermezzo einmal ab, und das unterschied sich auch nicht so besonders von den anderen Jahren. Wir sind wieder einmal in der Opposition. Oh wie schlimm. Ich wähle seit 30 Jahren Parteien, die es bestenfalls in die Opposition schaffen, wenn es überhaupt bis ins Parlament langt. Die Egoistin in mir sagt: schade; die Demokratin sagt: na gut, so sehen halt Mehrheitsentscheidungen aus.

Dass in einer Demokratie grundsätzlich die Mehrheit das Sagen hat, scheinen viele aus der Netzbewegung ohnehin nicht so ganz begriffen zu haben. Natürlich ist es nicht falsch, wenn auch Minderheiten gewisse Rechte zugestanden werden, aber das heißt nicht, dass dies immer und überall der Fall sein muss. Mitunter ist die Demokratie ein Ozeanriese, der in eine bestimmte Richtung steuert, und man kann nicht immer ein Stück für diejenigen absägen, die woanders hinwollen.

Glaubt nicht, ich wäre über das Wahlergebnis glücklich, aber ich weiß, dass Jammern hier nicht hilft. Ja, es ist befremdlich, wenn eine zweistellige Prozentzahl der abgegebenen gültigen Stimmen keine Entsprechung in Parlamentssitzen findet, aber dann gleich herumzukrakeelen, das sei "verfassungswidrig", ist wieder eine typische Netzreaktion: außer einer Folge "Alexander Hold" gesehen zu haben, keine juristischen Kenntnisse, aber den Leuten erzählen, was angeblich im Gesetz steht. Man kann ja vom Bundesverfassungsgericht halten, was man will, aber deren Urteile haben Substanz. Zwar hat in den vergangenen Jahren immer mal wieder jemand eine Verfassungsklage gegen die Fünf-Prozent-Hürde gefordert, tatsächlich durchgezogen wurde die Klage aber nur bei Kommunal- und Europawahlen. Wenn die Sache so sonnenklar ist, warum hat dann noch niemand etwas unternommen? Komischerweise finden die meisten, die über diese böse Klausel schimpfen, nichts Schlimmes daran, dass die FDP und die AfD an ihr gescheitert sind.

Besonders beliebt sind Kommentare, die sich darüber echauffieren, wie unglaublich dumm die Wählerinnen doch sind. Im Umkehrschluss soll das natürlich andeuten, dass die Verfasserin unglaublich klug ist, denn sie hat nicht die CDU gewählt. Klugheit gilt in einer Szene, die Statussymbolen wie großen Autos oder teuren Kleidern immer schon kritisch gegenüber stand, besonders viel. Arm darf man sein, aber dumm?

Das Volk ist also dumm, nur weil es nicht die Parteien gewählt hat, welche die intellektuelle Netzelite für sie auserkor. Ich verrate euch ein kleines Geheimnis: Die Mehrheit der Wählerinnen hält uns für völlige Idioten, weil wir irgendwelchen Spinnerparteien hinterher rennen. Klug und dumm sind in der Politik schwer objektivierbare Begriffe.

Schade finde ich vor allem eins: dass die CDU keine Minderheitsregierung bilden kann. Damit könnte sie Geschichte schreiben. Eine Kanzlerin, die das Wagnis eingeht, für ihre Vorhaben im Parlament nach Mehrheiten suchen zu müssen. Eine Opposition, die zwar ordentlich Gegendruck erzeugt, aber bei guten Vorschlägen auch die Größe hat, zuzustimmen, auch wenn die Idee von der falschen Partei kommt. Dummerweise ist der Bundestag viel zu sehr im Lagerdenken erstarrt, als dass er die für das Vorhaben nötige Flexibilität aufbrächte.

Statt dessen läuft alles auf eine große Koalition hin. Die SPD ist viel zu machthungrig, als dass sie dieser Versuchung lang widerstehen könnte. Die Parteispitze schafft gerade Tatsachen, so dass der angebliche Mitgliederentscheid praktisch keine andere Chance hat, als dem zuzustimmen, weil alles Andere die Partei ruinierte.

Freilich ruiniert auch die große Koalition die SPD. Sie hat sich schon einmal vorführen lassen, und ich sehe keine Köpfe in der Führungsriege, die es bei einer Neuauflage anders angehen ließen als zuvor. Auf wie viel Prozent will sich die SPD eigentlich noch zurechtstutzen lassen, bis sie begreift, dass Regierungssessel kein Selbstzweck sind? Diesem Irrtum ist der vorherige Koalitionspartner der CDU auch schon erlegen.

Zurück zur Frage, wo hier die Netzbewegung ins Spiel kommt. Wir können uns natürlich weiter auf das verlegen, was wir ganz toll können: daneben stehen und jammern. Wir könnten uns aber auch auf ein Grundprinzip unserer Verfassung besinnen: Alle Macht geht vom Volke aus. Demokratie lebt von Einmischung. Dazu müssen wir nicht in eine der noch großen Parteien eintreten. Es reicht, wenn wir uns Gehör verschaffen, wenn wir die Leute in diesen Parteien ansprechen, von denen wir uns etwas erhoffen. Nur weil jemand in der meiner Ansicht nach falschen Partei sitzt, muss er nicht völlig für meine Sache verloren sein. So etwas nennt sich Lobbyarbeit.

Manche werden bei diesem Wort zusammenzucken, aber das Wort hat zu unrecht einen so schlechten Leumund. Lobbyarbeit heißt in erster Linie, mit den Leuten zu reden, sie mit Informationen und Argumenten zu versorgen. Ich glaube nicht, dass Netzpolitik für die nächsten Jahre komplett vom Tisch ist. Wir dürfen einfach nicht erwarten, dass sie sich darauf beschränkt, dass wir einmal im Jahr in Berlin ein paar Plakate im Kreis herum tragen.

Sonntag, 22. September 2013

Netzpolitik bleibt in der APO

Gestern hatte mich ein Freund noch gewarnt: "Pass auf, wenn viele Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, schafft die CDU die parlamentarische absolute Mehrheit." Zum Zeitpunkt, an dem ich diesen Eintrag schreibe, ist diese absolute Mehrheit wahr geworden. Erstmals seit 1957.

Eigentlich hätten wir es wissen können. Wie sahen denn die Optionen aus? Abgesehen davon, dass der Opposition außer Witzen über die Handhaltung der Kanzlerin und der Bezeichnung "Mutti" schon fast bemitleidenswert wenig einfiel, braucht sich niemand zu wundern, warum sich die CDU in einem historisch dämlichen Wahlkampf durchsetzen konnte: Die SPD hatte ihrer Vorliebe für dicke, alte Macker nachgegeben und ein Politfossil ins Rennen geschickt, das vor allem durch trampelhaftes Benehmen bestach. Inhaltlich hob sich diese Partei nur durch diffuse Ankündigungen ab, dass mit ihr alles irgendwie gerechter werde. Offen blieb freilich die Frage, wie eine Partei, welche die zentralen Figuren der großen Koalition ins Rennen schickt, auf einmal ihr Herz für Menschenrechte und Sozialstaat erkannt haben soll. Unter diesen Umständen sind die drei hinzugewonnenen Prozentpunkte sogar noch ein echter Erfolg. Ehrlicherweise müsste die SPD sogar für das Ergebnis dankbar sein. Weder schwarz-rot, noch rot-rot-grün hätte sie überlebt.

Die FDP hatte außer der Bundesjustizministerin keinen Aktivposten zu bieten. Selbst die naseweisesten Sprüche ihres Vorsitzenden konnten nicht darüber hinweg täuschen, dass diese Partei seit Jahren ihren einzigen Existenzgrund darin sah, ins Parlament zu kommen, um dort - was noch einmal zu machen? Das wusste niemand so recht.

Den Grünen muss man wenigstens die ehrliche Ankündigung zugestehen, dass es mit ihnen in der Regierung teuer wird. Enorm explodierende Energiekosten als Gegenkonzept zu wahnsinnig explodierenden Energiekosten waren aber offenbar selbst eingefleischten Grünwählern nicht überzeugend zu vermitteln.

Die Linke war die einzige Partei, die während des Wahlkampfs wenigstens andeutungsweise Inhalte auf ihre Plakate druckte. Es blieb freilich die Frage, wie diese edlen Ziele umgesetzt werden sollen. Bei mir blieb vor allem der Eindruck einer brav Parolen abspulenden, insgesamt aber eher ratlosen Partei.

Die AfD scheitert aus dem Stand heraus knapp am Einzug in den Bundestag. Diese Zahl ist interessant, zeigt sie doch, dass eine reine Protestpartei realistische Erfolgschancen hat. Wesentlich mehr als D-Mark-Romantik und die schon fast niedliche Illusion, sich im Zeitalter der Globalisierung wirtschaftlich vom Rest der Welt entkoppeln zu können, hatte die Partei nicht zu bieten. Wie immer, wenn man einen unliebsamen Gegner loswerden will, wurde versucht, die AfD als Nazis abzustempeln, aber die Masche verfängt natürlich nur bei Leuten, die aus was gegen Nazis haben. Außerdem musste man sich nur die Krawallbrüder von den Republikanern und der NPD ansehen, um zu wissen, dass die AfD anders daher kommt. Eleganter. Mit Haupt- und Nebensätzen. Da muss man schon etwas mehr in peto haben als Antifaparolen aus der Mottenkiste. Möglicherweise besiegelt das knappe Scheitern auch das Ende dieser Partei, aber das ist meiner Meinung nach noch nicht gesagt. Ich schreibe sie vorest noch nicht ab.

Kommen wir zu den Piraten. Groß waren die Hoffnungen der vergangenen Jahre, dass Netzpolitik endlich allgemein gesellschaftliche Relevanz erlangt haben könnte, dass wir endlich den Weg aus den Hackerspaces in die analoge Welt geschafft hätten. In gewisser Hinsicht ist es auch gelungen - technisch gesehen. Selbst die konservativsten Knochen haben inzwischen I-Pads und Smartphones, um darauf ihr Social-Media-Profil zu pflegen. Leider haben sie dabei nicht die Vorstellungen übernommen, die wir mit dieser Technik verbinden. Für sie ist das Netz weiterhin wie eine Mischung aus Telefon, Fernsehen und Zeitung, und entsprechend wollen sie darin Sendezeiten, Inhaltskontrolle und das Verbot, voneinander abzuschreiben. Das Netz als Teil der Persönlichkeit, als Lebensraum gibt es für sie nicht. Wenn sie twittern, sind es Sätze wie "Auf dem Weg zur Fraktionsgeschäftssitzung. Debatte über Drucksache 24/11-13 wird interessant" oder anderer inhaltsleerer Blödsinn, den ihre PR-Zombies als total Web 2.0 ansehen. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als könnten die Piraten in diese Welt einbrechen, aber sie sind gescheitert. Gründe gibt es mehrere:

Der Mythos der "Ein-Themen-Partei": Groß war das Gejammer. Wie kann eine Partei nur so lau mit nur einem Thema, nämlich der Netzpolitik daher kommen? Schon vor vier Jahren habe ich geschrieben: Na und? Die FDP konnte über Jahre hinweg nur das Wort "Steuersenkung" stammeln und kam damit durch. Die AfD hat außer "D-Mark" praktisch nichts zu bieten und schafft es fast in den Bundestag. Doch wie reagieren die Piraten? Statt die Nerven zu behalten und sich auf das eine Thema, das sie wirklich können, zu konzentrieren, wenden sie viel Zeit und Energie auf ein "Vollprogramm" auf - ein wild zusammengestoppeltes Konglomerat irgendwelcher mehr oder weniger ausgegorener Positionen, unlesbar und uninteressant, aber ein gefundenes Fressen für alle, die sich über die Piraten immer schon einmal totlachen wollten.

Transparenz: Größte Stärke und gleichzeitig größte Schwäche der Piraten war es immer, alles öffentlich zu leben. Alle sollten sehen, wie die Partei Beschlüsse fasst. Das Ganze hat nur zwei Nachteile. Der eine ist nicht weiter schlimm: Es interessiert niemanden. Der viel entscheidendere Nachteil: Während sich die Piraten öffentlich wie die Kesselflicker stritten, erweckten alle anderen Parteien ein vergleichsweise geschlossenes Bild. Intern sah es bei ihnen auch nicht besser aus, aber sie hielten ihre Streitigkeiten wie die ganzen Jahre zuvor streng unter Verschluss.

In der Summe führte es dazu, dass sich nicht nur zu jedem im Vollprogramm vertretenen Nischenthema irgendwo in der Partei jemand fand, der dazu etwas sagen konnte, sondern dass die offene Informationspolitik dazu führte, dass er es auch tatsächlich sagte. Selten war das von Vorteil. Die Medien liebten eine Zeit lang diesen unerschöpflichen Interviewpool, und die Öffentlichkeits- und Karrieresüchtigen, die in den zwischenzeitlich zweistelligen Wahlergebnissen großartige Aussichten für eine politische Laufbahn sahen, ließen keine Chance aus, ihr dummes Gewäsch in jedes Mikrofon zu erbrechen, das die Journalistinnen nicht rechtzeitig wegzogen. Eines aber übersahen sie: Öffentlichkeit heißt nicht, zwangsläufig von allen geliebt zu werden. Es kann auch heißen, dass man Kritik einstecken muss, und darin waren die Piraten leider nie besonders gut. Tauchte irgendwo ein Artikel auf, der es auch nur wagte, neben den Lobeshymnen ganz vorsichtig auf die eine oder andere Schwäche hinzuweisen, dann konnte das noch so konstruktiv und freundlich geschrieben sein - die Kommentare ereiferten sich, als hätte der Autor mit einer Kettensäge eine komplette Grundschule niedergemetzelt. Kritik wurde nicht als Chance, sondern als Häresie betrachtet, und entsprechend versiegte die Diskussionskultur in und um die Piraten schnell in hysterischem Gekreische. Hoffentlich hört mich jemand und schreibt einen Artikel über mich.

Hinzu kamen einige ungeschickte Aktionen von Parteimitgliedern, welche die Grenze zwischen ihrer allgemein netzpolizischen und der Parteiarbeit nicht sauber gezogen bekamen. Oft handelten sie mit den besten Absichten, aber in der Netzbewegung kam es so an, als versuche die Partei, sie zu vereinnahmen. Besonders beispielhaft zeigte sich das am "Fahnenstreit", äußerlich gesehen einer Lappalie, die sich über Jahre hinzog und um die Frage drehte, ob und wie viele Parteifahnen auf Demonstrationen angemessen sind. Für die Piraten ging es darum "Präsenz zu zeigen", für die Netzbewegung darum, dass ihre Demonstrationen als parteiunabhängige Veranstaltung wahrgenommen werden. "Was können wir denn dafür, dass wir nun einmal den größten Teil eurer Bewegung stellen?" fragten die Piraten. "Ihr seid gar nicht so viele", entgegnete die Netzbewegung. "Ihr seid nur diejenigen, die mit den meisten Fahnen aufkreuzen. Der Rest von uns trägt diese Fetzen nicht und wird trotzdem mit zu euch gezählt." - "Ist denn das schlimm?" fragten die Piraten. "Ja", sagte die Netzbewegung. "und zwar dann, wenn wir nicht mehr als unabhängige Institution, sondern nur noch als euer Anhängel wahrgenommen werden. Damit vergrault ihr die Leute, die anderen Parteien angehören." - "Aber wir sind doch euer parlamentarischer Arm."

Nein, das seid ihr nicht, zumindest nicht unbedingt. Wir freuen uns, wenn ihr unsere Interessen vertretet, aber wenn SPD, Grüne, FDP, Linke, ja vielleicht auch die CDU auf unsere Anliegen reagieren, freut uns das genau so. Streng genommen ist uns egal, wer im Parlament netzpolitische Positionen stärkt, so lange es überhaupt geschieht.

Ich bin gespannt, zu sehen, was jetzt passiert. Wie viele derjenigen, die von einer glänzenden Politkarriere, Fernsehauftritten und Titelgeschichten in den Zeitungen träumten, werden jetzt noch den Piraten die Treue halten? Wie viele Fahnenschwenkerinnen haben noch Spaß an ihrer Politclownerie, jetzt, da sie wissen, dass ihnen niemand zuschaut? Wie viele Empörungskünstlerinnen mit Adrenalinüberschuss werden sich jetzt noch in Forenkommentaren heilige Kriege liefern, wenn sie der Illusion beraubt wurden, alle Welt bewundere sie dafür? Oder kürzer: Wer bleibt den Piraten erhalten - die ehrlichen Aktivistinnen oder die Schwachköpfe? Werden die Piraten wieder zu Avant Garde oder verkommen sie zum Debattierclub für Nabelschaufetischistinnen?

Wichtigste Lehre: Unsere Filterblase ist nicht repräsentativ. Nicht einmal ansatzweise. Ähnlich wie die SPD-Anhängerinnen über Monate hinweg Rechenkunststücke weit abseits der mathematischen Logik veranstalteten und bei Auftritten Steinbrücks vom "nächsten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland" schwadronierten, kramten Piraten und mit ihnen Teile der Netzbewegung irgendwelche halbgaren Umfragen heraus und verkündeten, sie hätten bei 12-jährigen Schreinerstöchtern im östlichen Schwarzwald vormittags zwischen 9 und 11 Uhr einen Stimmanteil von 17 Prozent, der Einzug in den Bundestag sei mithin in greifbare Nähe gerückt. Verstärkt wurde dieser Irrglaube durch die umfangreiche Berichterstattung zum NSA-Skandal, die zwar erfreulicherweise zeigte, dass viele Journalistinnen die Tragweite der Enthüllungen genau verstanden hatten, in der Öffentlichkeit aber praktisch nicht zur Kenntnis genommen wurde.

Spätestens nach dieser Wahl werden wir uns von der Illusion einer starken und für die große Politik relevanten Netzbewegung verabschieden müssen. Für den Traditionsrundmarsch "Freiheit statt Angst" in Berlin mögen zusammengelogene 20.000 Teilnehmerinnen vielleicht noch ein hübsches Bild abgeben, aber wenn die einzige objektiv messbare Meinungsumfrage namens Wahl uns schmerzhaft mit der Realität abgleicht, ist es vielleicht an der Zeit, das Träumen zu beenden und sich der Wahrheit zu widmen. Es ist auch Unsinn, darauf warten zu wollen, bis die junge Generation, bei der unsere Themen wenigstens noch etwas Relevanz haben, ins Wahlalter kommt. Leute, schaut euch die Altersstatistiken an. Dieses Land vergreist. Wir werden auf absehbare Zeit von alten Säcken regiert, für die das Internet bis zu ihrem Tod eine Sammlung von Röhren bleiben wird. Die paar nachwachsenden Teenager werden niemals ein Gegengewicht bilden können.

Eine ganz wichtige Lektion werden einige von uns noch lernen müssen. Die Wahlbeteiligung lag über 70 Prozent und ist im Vergleich zur letzten Wahl sogar leicht gestiegen. So etwas nennt sich demokratisch legitimiert. Wir können uns darüber unterhalten, ob die Bundesrepublik im Vergleich zu Weimar so weit stabilisiert ist, dass man die Fünf-Prozent-Hürde abschaffen kann, aber das hieße eben auch, dass neben den Piraten auch FDP und AfD im Bundestag sind. Das will dann auch wieder niemand. Demokratie heißt nicht, dass alles nach meiner Pfeife tanzt.

Der letzte Satz mag manche überraschen. Lest ihn zur Not ruhig noch einmal. Wenn mir irgendetwas nicht passt, dann ist das nicht automatisch sex-, fem-, rass-, fasch- oder sonstwieistische "Kackscheiße", sondern vielleicht ausnahmsweise mal berechtigt. Wenn die Regierung ein Gesetz beschließt, das mir nicht passt, ist es vielleicht ungerecht, nachteilhaft für mich oder einfach nur unsinnig, aber nicht automatisch verfassungswidrig. Die Feststellung, was in diesem Land verfassungswidrig ist und was nicht, treffen nicht du oder ich, sondern ein eigens dafür geschaffenes Gericht, das aus gutem Grund vom politischen Tagesgeschäft angekoppelt ist. Nur weil ich in der Minderheit bin, werde ich nicht automatisch unterdrückt, ausgegrenzt oder diskriminiert und muss deswegen unbedingt geschützt werden, sondern manchmal muss ich auch einfach einsehen, dass die Anderen in der Mehrheit sind.

Mittwoch, 18. September 2013

Nichtwähler-FAQ

Zum Thema Nichtwählen habe ich mich schon an anderer Stelle ausgelassen. Da aber regelmäßig zu Wahlen die gleichen selbsternannten Querdenkerinnen auftauchen und mit gewichtiger Stimme verkünden, warum sie als wahre Widerstandskämpferinnen gegen das korrupte System ganz mutig nicht zur Wahl gehen, habe ich mich entschieden, die häufigsten Argumente aufzugreifen und zu schreiben, was ich davon halte.

"Es ist meine freie Entscheidung, nicht wählen zu gehen."

Natürlich ist es das, genau so, wie es meine freie Entscheidung ist, dein Verhalten dumm zu finden. Wenn du einfach nicht wähltest und dafür den Rest der Zeit den Mund hieltest, hätten wir auch keine Schwierigkeiten miteinander. Statt dessen liegst du mir die ganze Zeit jammernd in den Ohren, alles sei so schlimm. Nun, du hattest die Gelegenheit, es zu ändern. Du hast sie nicht wahrgenommen. Geh mir nicht auf die Nerven.

Bitte, jetzt drück nicht auf die Tränendrüse und wein mir was vor, ich "diskriminiere", ja schlimmer noch "bashe" dich. Die Freiheit, alles zu tun, umfasst nicht die Pflicht der Umstehenden, jeden Schwachsinn zu bejublen. Freiheit heißt nicht zuletzt, für die Folgen seines Tuns gerade zu stehen, und das kann eben auch heißen, sich von mir auslachen lassen zu müssen.

"Es ändert sich ja doch nichts."

Zugegeben, die Parteien boten in den letzten Jahrzehnten reichlich Anlass zur Enttäuschung. Als Rot-Grün Ende des letzten Jahrhunderts Schwarz-Gelb ablöste, dachten wir, jetzt käme der große Generationenwechsel, alles werde gut. Statt dessen bestand eine der ersten Entscheidungen darin, sich aktiv an einem Krieg zu beteiligen. Kurz darauf beschloss die gleiche Regierung ein ganzes Bündel verfassungswidriger "Sicherheitsgesetze". Kurz vor Ende ihrer Regierungszeit schaffte sie dann noch den Sozialstaat ab. Die dann folgene schwarz-rote Koalition wollte eigentlich niemand. Deswegen verzeihen wir es ihr sogar fast, dass sie die Internetzensur beschloss. Vom derzeitigen schwarz-gelben Bündnis erwartete niemand allzu viel, allenfalls, dass ihre Politik aus einem Guss sein werde. Statt dessen besticht sie durch Peinlichkeiten, Abwarten, Zaudern und Konfusion in einer Form, welche die Ära Kohl als eine Zeit radikaler Entschlossenheit erscheinen lässt. Egal, wie die nächste Regierung aussehen wird - ich zweifle nicht eine Sekunde daran, dass sie es ähnlich vergeigen wird.

Also einpacken und nach hause gehen? Nein, denn so funktioniert Demokratie nicht.

Der letzte Satz hatte eine schöne Doppelbedeutung. Tatsächlich funktioniert Demokartie so nicht. Jetzt. In diesem Moment. Die Leute glauben, Demokratie sei eine Art Luxusrestaurant, das zu besuchen man sich alle vier Jahre leisten kann. Dann schaut man andächtig auf die Karte, wählt mit Kennermiene ein Gericht aus und hat es dann in exakt der Form zu genießen, wie es sich der Vier-Sterne-Koch im seinem Refugium gedacht hat.

Genau das ist Quatsch. Demokratie ist die schmierige Pommesbude an der Ecke. Der unrasierte Typ hinter dem Tresen ist keinen Deut besser oder schlechter als du, und wenn der mal wieder Pamp serviert, dann langst du kurz rüber und erzählst ihm deine Meinung. Mehr sogar: Zur Not schubst du ihn beiseite und kochst deinen eigenen Kram. Du musst nur genug Leute finden, die dein Zeug essen wollen. Vielleicht stellst du dich beim Kochen furchtbar an, vielleicht schmeckt dein Essen genau so grässlich wie das der Anderen, aber es ist dein Essen. Du sorgst dafür, dass es gelingt.

Demokratie lebt von ständiger Einmischung. Wenn du den Eindruck hast, dass sich ein Raumschiff Bundestag gebildet hat, in dem eine abgehobene Abgeordnetenkaste weit entfernt vom Volk herumschwebt und ihr eigenes Leben lebt, dann liegt es daran, dass du es zugelassen hast - dass über Jahrzehnte hinweg dir nichts als Jammern einfiel. Zum Glück muss das Raumschiff gelegentlich zum Proviantholen landen. Sorgen wir dafür, dass es diesmal am Boden bleibt.

"Ich werde ein Signal setzen."


Wer streut eigentlich immer wieder dieses blödsinnige Gerücht, ungültig abgegebene Stimmen könnten abends in den Balkengrafiken bei ARD und ZDF auftauchen, wenn nur genügend entsprechend ankreuzen? Leute, wollt ihr mir denn mit aller Gewalt beweisen, dass wirklich jeder Depp wählen gehen darf? Die Sitzverteilung berechnet sich nach den abgegebenen gültigen Stimmen. So lange es auch nur eine einzige davon gibt, kommen sinnvolle Werte heraus, und niemand merkt etwas. Ihr könnt auch gern ellenlange Ergüsse auf den Stimmzettel kritzeln, warum ihr alles doof findet. Glaubt ihr ernsthaft, das liest sich jemand durch? Wie stellt ihr euch die Auszählung vor? Meint ihr, wir säßen da im Kreis, jemand entfaltet feierlich den Stimmzettel, ruft: "Gaudete! Höret die Stimme des Volkssouveräns!", verliest das Votum, und ein Mönch mit Gänsekiel protokolliert andächtig das Ergebnis auf Pergament? Ich habe über Jahrzehnte im Wahllokal gesessen. Abends beim Auszählen wollten wir vor allem eins: heim. Wir haben zugesehen, so schnell wie möglich fehlerfrei auszuzählen. Da guckt keiner, welche Pamphlete irgendein Wichtigtuer verfasst hat. Da zählt nur eins: gültig oder nicht? Geschwafel gehört zur Kategorie "ungültig", wird zwar auch zahlenmäßig erfasst, hat aber keine Auswirkung aufs Wahlergebnis.

"Ich bin Anarchistin."

Heißt: Du lehnst die parlamentarische Demokratie prinzipiell als Instrument der Entscheidungsfindung ab und möchtest ein anderes System herbei führen. Du magst dich wundern, aber das respektiere ich. Genauer: Ich respektiere es, so lange du deine Revolution nicht aufs Wohnzimmer oder den monatlichen Debattierklub beschränkst, wo ihr euch gegenseitig euer Leid klagt, sondern dich friedlich für eine Änderung des Systems einsetzt. 

Dienstag, 17. September 2013

Kann ausnahmsweise einer an die Kinder denken?

Lieber Herr Trittin,

es gibt viele Gründe, Sie und Ihre Partei als politische Gegner zu betrachten: die Oberlehrermentalität, den Drang, Gesetze zu erlassen, wo Überzeugen angebracht wäre, der Krieg, den Sie geführt, die verfassungswidrigen Sicherheitsgesetze, die Sie beschlossen haben und, ja, natürlich auch dieses vollkommen idiotische Dosenpfand, das mich zwingt, Plastikmüll wie rohe Eier zum Pfandautomaten zu schleppen, der das Etikett wegen einer winzigen Falte nicht lesen kann oder gerade verstopft ist und dann, wenn er doch ausnahmsweise funktioniert, Sekunden später die mit höchster Sorgfalt dargebrachte Dose zermatscht. Ich könnte noch lange weiter aufzählen: die Quote, explodierende Energiekosten, Abbau des Gesundheitswesens, Hartz IV, die Internetzensur - alles Errungenschaften, die wir direkt Ihnen zu verdanken haben oder wenigstens von Ihnen mit beschlossen wurden. All dies kreide ich Ihnen - zu recht oder nicht - an, aber eines nicht: dass Sie vor 32 Jahren in Göttingen ein unfassbar dummes Wahlprogramm unterschrieben haben. Unfassbar dumm deshalb, weil es eine Passage zur Straffreiheit von Pädophilie enthielt, die heute kein empfindungsfähiges Wesen mehr so stehen ließe.

Das wissen Sie inzwischen selbst. Mehr als das: Sie gaben sogar eine unabhängige Studie in Auftrag und ließen es zu, dass eine Woche vor der Bundestagswahl Ihr schwerer Fehler aus dem Jahr 1981 noch einmal an die große Glocke gehängt wird. Befänden wir uns mitten in der Legislaturperiode, hätte der politische Gegner ein wenig gelästert, Sie hätten sich brav Ihre Tracht Prügel abgeholt, und die Sache hätte sich erledigt. Nun aber befinden wir uns ausgerechnet in der Woche vor der Bundestagswahl, einer Phase also, in der Sachargumente schon lange völlig uninteressant sind und die CDU die Typen aus dem Keller heraus lässt, die sie sonst da unten wegschließt, weil sie selbst für ihre Maßstäbe peinlich sind. Philipp Mißfelder zum Beispiel. Gegen den wirkt selbst Claudia Roth noch intellektuell.

Die CDU, deren Vorgängerpartei das Ermächtigungsgesetz mit beschlossen hat, deren Mitglieder in der NS-Zeit aktiv mitgemordet haben, deren DDR-Ableger das SED-Regime mit unterstützt hat. Die CDU, Akteurin in diversen Parteispendenaffären, die einen ehemaligen Bundeskanzler vergöttert, der in einem Strafverfahren einfach keine Lust hat, als Zeuge auszusagen und dafür nicht belangt wird - diese Partei, die für alle Zeit das Recht verwirkt haben sollte, Begriffe wie "christlich" oder "Moral" auch nur laut auszusprechen, erdreistet sich jetzt also, sich zur moralischen Instanz über Sie zu erheben, ähnlich wie damals, als es in der katholischen Kirche nicht um irgendwelche theoretisch-programmatischen Kindesmisshandlungen, sondern um ganz reale Fälle in Pastorenwohnungen und Schulen ging? Oh, ich höre gerade, das fand damals keiner in der CDU so richtig schlimm, da forderte keiner rückhaltlose und brutalstmögliche Aufklärung. Naja, mit der Kirche verdirbt man es sich ja auch nicht.

Ich krame uraltes Zeugs aus längst vergangenen Tagen hervor? Genau, ich finde das auch albern. Menschen ändern sich, Parteien ändern sich. Jutta Ditfurth wird Ihnen das bestätigen. Baldur Springmann und Petra Kelly könnten das auch, wenn sie noch lebten.

Deshalb wähle ich Sie nicht - nicht wegen der Dinge, die Sie unterschrieben haben, als ich noch ein Kind war, sodern wegen der Dinge, die Sie und Ihre Partei jetzt gerade verschusseln. Darunter ist nichts, was Ihren Rücktritt als Spitzenkandidat rechtfertigte. Sie verkörpern das, was ich an Ihrer Partei nicht leiden kann, und das ist genau der Grund, warum Sie auf diesen Posten gehören. Sie erledigen Ihre Aufgabe gut, und das meine ich ausnahmsweise nicht ironisch.

Wer jetzt die Grünen nicht wählt, weil vor 32 Jahren ein Göttinger Student und Stadtratskandidat ein blödsinniges Wahlprogramm einer in der Gründungsphase befindlichen Partei unterschrieben hat und sich deswegen heute von den öligen Politplacebos einer CDU-Jugendorganisation ankläffen lassen muss, hat es nicht anders verdient, zur Belohnung weitere vier Jahre von einer Partei reagiert zu werden, die den Stillstand zum rautenförmigen Konzept erhoben hat.

Trotz allem viel Erfolg bei der Wahl und einen fairen Wahlkampf wünscht

Ihre Publikumsbeschimpfung

Samstag, 7. September 2013

Buchkritik: Internet-Meme - kurz & geek

O'Reillys "Kurz-&-geek"-Reihe hat sich als verlässliche Quelle für die Einführung in die Nerdkultur etabliert. Namhafte Autoren, passabler Preis, ordentlicher Inhalt - was will man mehr? So griff ich auch ohne großes Nachdenken zu diesem Buch. Plom und erlehmann kennen sich aus, und haben in zahlreichen Podcasts sowie Vorträgen über das Thema gesprochen, da kann nicht viel schief gehen. Außerdem sind Katzen auf dem Buchdeckel.

Meme gibt es so zahlreich und in so vielen Variationen, dass kein Buch der Welt eine Chance hätte, sie alle zu beschreiben. Es wäre zum Erscheinungszeitpunkt schon hoffnungslos veraltet. Entsprechend versuchen die Autoren auch nur, die historische Entwicklung zu skizzieren, einige Meilensteine zu beschreiben und die wichtigsten Quellen zu nennen, denen diese Meme entspringen. Das ist notwendigerweise subjektiv. Die Einschätzung der Relevanz einiger Quellen und Meme mag nicht der Sicht einiger Leserinnen entsprechen, aber ich habe nicht das Gefühl, dass sie irgendwo komplett falsch ist.

Die Autoren versuchen, möglichst neutral und präzise vorzugehen. Das ist einerseits löblich, weil sie damit ihrem Anspruch gerecht werden, das Thema sauber aufzuarbeiten und vielleicht sogar das erste Werk im deutschsprachigen Raum vorzulegen, das überhaupt nach annähernd wissenschaftlichen Maßstäben die Memkultur beschreibt, gleichzeitig aber liest sich dadurch das Buch so öde wie eine Seminararbeit. Das liegt natürlich auch in der Natur der Sache. Kaum etwas ist dröger als der Versuch, über Humor zu schreiben. Gleichzeitig aber scheitert das Buch an seinem eigenen wissenschaftlichen Anspruch. So definiert es am Anfang Meme über ihre virale Verbreitung, kritisiert aber am Ende andere Arbeiten, die virale Kulturverbreitung, nicht jedoch Meme zum Thema haben. Der scheinbare Widerspruch löst sich erst nach einigem Blättern. Eine klare Abgrenzung der Begriffe, eine Beschreibung, was viral aber dennoch kein Mem ist, wäre hilfreich gewesen.

Erwarten Sie also kein lustiges Buch. Erwarten Sie auch nicht viel Neues, wenn Sie sich ohnehin souverän in der Nerdkultur bewegen, soziale Medien nutzen und Podcasts hören. Wenn Sie meine Andeutung mit den Katzen zwar erkannt haben, Ihnen aber nicht klar ist, warum um diese Tiere in bestimmten Kreisen so ein Gewese veranstaltet wird, ist das Buch ein guter Ausgangspunkt für weitere Recherchen.

Internet-Meme - kurz & geek 
1. Auflage Juni 2013 
ISBN 978-3-86899-805-4
240 Seiten, broschiert
eBook-Format: PDF 

Die Partei hat immer Recht

Es sind weniger die Parteien, die mir so unendlich auf die Nerven gehen, es sind ihre Mitglieder.

Wer hat eigentlich das Gerücht in die Welt gesetzt, ein Parteibuch gäbe es nur im Tausch mit einem Großhirn? Für alle, die jetzt überrascht aufhorchen: Das Gerücht ist falsch. Ihr dürft euren Grips behalten, ehrlich. Selbst bei den Piraten.

Oder wo auch immer. Bei denen fällt es mir nur besonders auf, weil sie einen großen Teil meiner Filterblase bilden. Tatsächlich habe ich das gleiche Phänomen auch bei den Grünen sowie der SPD beobachtet und bin mir sicher, dass es mir bei anderen Parteien genau so auffiele, wenn ich mit deren Mitgliedern mehr Kontakt hätte. Na gut, bei einigen Parteien kann es natürlich auch sein, dass deren Mitglieder nicht allzu viel Grips haben, den sie eintauschen könnten, dass also die Mitgliedschaft eher den konsequenten Abschluss eines Prozesses zunehmenden intellektuellen Dahinsiechens darstellt. Irgendwie muss man einen Ronald Pofalla oder einen Fipsi Rösler ja ertragen können.

Ich war auch 15 Jahre Mitglied einer Partei, und ich kenne das Gefühl, mit dem Mitgliedsantrag so etwas wie Blutsbrüderschaft geschlossen zu haben. Ab diesem Moment bin ich die Partei, und die Partei ist ich. Wer die Partei als Ganzes oder ihre Repräsentantinnen angreift, greift auch mich an, und zwar nicht irgendwie allgemein, diffus, weil ich als Mitglied das mit unterstütze, sondern ganz konkret mich als Mensch. Entsprechend reagiere ich dann auch: persönlich angegriffen, emotional, aufbrausend, verletzt, unsachlich.

Es reichte ein einziger Tweet, in dem ich andeutete, der Abbau des Sozialstaats sei ganz maßgeblich unter einem sozialdemokratischen Kanzler und sozialdemokratischen Bundesministern vorangetrieben worden, um eine ganze Lawine von Tweets eines Sozialdemokraten loszutreten, der meinte, die Piraten hätten ja nicht einmal vernünftige Positionen zu diesem Thema in ihrem Wahlprogramm stehen. Merken Sie, was ich meine? Ich hatte mich nicht als Piratin geäußert - wie auch, ich bin keine -, und es ging auch nicht darum, die Piraten toll aussehen zu lassen, sondern zu kritisieren, wie die SPD sich als Retterin genau des Sozialstaats aufspielt, zu dessen Beseitigung sie Monate zuvor noch selbst aktiv beigetragen hat. Darauf gingen die Tweets auch gar nicht erst ein. Wichtig war nur: Einen deutschen Sozialdemokraten greift man nicht ungestraft an.

Einen ähnlichen Effekt beobachte ich bei den Piraten - der Partei, die ich lange Zeit für die einzige Chance hielt, basisdemokratische und transparente Prozesse in einem erstarrten Parlamentsbetrieb zu etablieren. In ihrer Aufbauphase vor vier Jahren fand ich es auch völlig legitim, auf maximale Außenwirkung zu zielen. Über viele Wochen waren die Piraten die einzige Partei, welche die von CDU und SPD (sic!) eingeführte Internetzensur als allgemeine Gefahr erkannten und dagegen protestierten. Wochenlang mussten sich deren Mitglieder als Förderer dokumentierter Kindervergewaltigung beschimpfen lassen, bis sich langsam herumsprach, worum es ihnen wirklich ging. Ich fand es völlig legitim, dass sie mit Aufklebern und Fahnen darauf hinwiesen, dass sie überhaupt existieren, dass es nach dreißig Jahren wieder einen ernst zu nehmenden Ansatz gibt, neue Ideen in den Politbetrieb einzuspeisen.

Das war vor vier Jahren. Inzwischen weiß selbst meine Oma, wer die Piratenpartei ist. Sie wählt sie nicht, weil sie den Namen nicht mag, aber sie bekommt mit, was diese Partei treibt. Sie muss nicht ständig durch eine Fahne darauf hingewiesen werden.

Leider haben das die Mitglieder noch nicht begriffen. Sie ändern ihren Twitternamen von @volldepp zu @PiratVolldepp, sie ändern die Hintergrundfarbe ihres Avatarbilds auf orange und montieren noch eine kleine Parteiflagge in eine Ecke. Ich kenne offen gesagt kein Mitglied einer anderen Partei, das seinen Namen etwa in @SPDTrottel geändert hätte. Ins Foto montierte Parteilogos erlebt man allenfalls bei Kandidatinnen oder Mandatstägerinnen. Na gut, Claudia Roth ist sich für keinen Blödsinn zu schade, aber bei dieser Account ist so maßlos peinlich, dass ich eher auf einen Fake-Zugang eines übereifrigen Parteimitglieds tippe.

Manchmal habe ich den Eindruck, einen neu gewonnenen Piratenparteimitglied wird neben der Mitgliedsnummer auch gleich eine Parteifahne zugeschickt. Zumindest finde ich erstaunlich, wie viele Piraten bei Demonstrationen mit ihrer Flagge herumwedeln.

Was mich daran stört? Die Aussagelosigkeit und Penetranz. Aussagelos, weil es Leute gibt, die sich gute Parolen überlegen, die pfiffige Transparente basteln. Achten Sie einmal darauf, was die Presse fotografiert. Die interessiert sich für Sprüche wie "Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen". Fahnen nimmt sie auf Fotos mehr in Kauf als dass sie gezielt danach suchte, und genau das scheint die Fahnenträger zu animieren, zu einer Methode zu greifen, die sie sonst vehement kritisieren: Spamming. Überall, wo die Kamera hinguckt, muss ein Fahnenmeer sein. Das hat nichts mehr mit Präsenzzeigen gemein, das ist einfach penetrant. Ich kenne sogar Piraten, die mir gesagt haben, worum es bei einer Demonstration ginge, sei ihnen völlig egal, so lange sie dort ihre Fahne schwingen dürfen. Sonst gingen sie nicht hin.

Vielleicht liegt es an meiner Vergangenheit, dass ich Fahnenträgerinnen nicht ernst nehmen kann. Über 30 Jahre bin ich auf den Gewerkschaftsdemonstrationen zum 1. Mai mitgelaufen. Über 30 Jahre liefen da Leute mit, blöd wie Knäckebrot, keine Ahnung, für welche Forderungen sie gerade einstanden, aber die DGB- oder SPD-Flagge konnten sie gerade einmal noch halten. Ach ja, und gerade in den letzten Jahren durfte die Plastikweste mit dem ver.di-Aufdruck und die Trillerpfeife im Mund nicht fehlen. Trüüüü - was für eine Aussage.

Inzwischen gibt es sogar Demonstrationen mit Quotenregelungen. Eine Fahne pro Partei müsse reichen, heißt es dann. Als wenn das etwas brächte. Es geht nicht um eine genau festzulegende Zahl von Fahnen. Es geht einfach darum, nicht den Eindruck zu erwecken, eine parteiübergreifend veranstaltete Demonstration sei eine Parteiveranstaltung, aber das habe ich in der Vergangenheit leider mehrfach erlebt. Das geht gleich mehrfach schief. Erstens bleiben der nächsten Demonstration diejenigen fern, denen es um die Sache und die nicht gegen ihren Willen zu temporären Parteimitgliedern gestempelt werden wollen. Zweitens bleibt in der Öffentlichkeit der Eindruck, es ginge bei der Demonstration vor allem um Parteiwerbung, wobei das eigentliche Ziel völlig untergeht. Drittens gerät die Partei selbst in Misskredit, weil man sie vor allem als Eigenwerbeverein und nicht als Vetreterin ernst zu nehmender Anliegen wahrnimmt.

Das darf man allerdings nicht laut sagen, denn dann steigen sofort die Parteisoldaten auf die Barrikaden und verteidigen ihre Partei gegen die vermeintliche Schändung. Erinnern Sie sich noch an das Jahr 2009? Damals reichen Artikel, in denen die Piratenpartei nicht ganz so stürmisch wie sonst bejubelt wurde, um sich den Kommentarteil mit hunderten wüster Beschimpfungen zu füllen, die sich beklagten, wie man dazu käme, die Piratenpartei nicht als gottgesandte Erlösung anzusehen. Ich wurde einmal allein für die Feststellung angegriffen, dass die Piraten nicht im Bundestag vertreten seien und wir als Veranstalter einer Diskussionsrunde irgendwo eine Grenze ziehen müssten, welche Partei wir einlüden und welche nicht. Hoch schlugen die Wogen der Empörung jedes Mal, wenn die Parteichefs von CDU und SPD sich zu einem Thema äußerten, die Erklärung des Bundesvorsitzenden einer Partei mit einem bis zwei Prozent Stimmanteilen von der Presse aber "totgeschwiegen" wurde. Das riecht doch nach Verschwörung!

Inzwischen hat sich die Lage etwas beruhigt, aber noch heute kann man davon ausgehen, auf jede noch so zurückhaltend formulierte Kritik ellenlage Tiraden zu ernten, man sei es leid, immer von der Seite angepampt zu werden, ohne die Piraten gäbe es in Deutschland überhaupt keine Netzbewegung mehr, die ganzen parteiübergreifenden Organisationen bekämen schon lang nichts mehr auf die Reihe, doch statt tränenersticktem Dank für die Rettung des demokratischen Diskurses ernte man ständig nur Beschimpfungen.

Wenn mir jetzt wieder jemand eine weinerliche Mail schreiben zu müssen meint, in der er andeutet, er könne auch gern zu hause bleiben, wenn ich ihm so blöd käme, sei ihm gesagt: wunderbar. Wenn ich Typen wie dich, die ihr ganzes Engagement für elementare Freiheitsrechte an die Bedingung knüpfen, dass man ihre Kasperletruppe ins Parlament hievt, so einfach loswerde, bin ich glücklich. Für mein Anliegen brauche ich Überzeugungstäterinnen, keine Stimmenprostituierten. Ich habe mich für Datenschutz eingesetzt, als du noch mit Mamis I-Pad um den Weihnachtsbaum gerobbt bist, und ich werde mich noch dafür einsetzen, wenn du schon längst zur AfD gewechselt bist, weil du dir dort mehr Chancen auf ein Landtagsmandat erhoffst.

Zur Ehrenrettung der Piraten sei gesagt, dass derart dünnhäutiges Gewinsel so gut wie nie von offiziellen Vetreterinnen sondern meist vom Fußvolk kommt. Das bessert die Situation leider nur wenig. Wenn ich davon ausgehen muss, dass abgesehen von einigen Mandatsträgerinnen eine Partei nur aus Bescheuerten besteht und die Entscheidungen dieser Partei durch Einbindung genau dieser Volltrottel zustande kommen, weiß ich, dass ich diese Partei daran zu hindern versuchen werde, politische Macht auszuüben. So weit bin ich noch nicht, aber allzu weit bis dahin ist es bei mir nicht mehr.

Leute, wenn ihr euch auch ohne Mandat berufen fühlt, eure Partei zu repräsentieren, lasst euch gesagt sein, dass man mit überschnappender Stimme kaum Sympathien gewinnt, dass Kritik oft auch konstruktive Elemente beinhaltet und Beißreflexe deswegen  keine angemessene Reaktion darstellen. Vor allem: Wahlen gewinnt man so nicht. Man gewinnt sie durch Überzeugungsarbeit, aber dazu braucht man mehr als eine Parteifahne.

Dienstag, 30. Juli 2013

Obsolete Dreckstechnik Teil 4: Drucker

Seit 30 Jahren gibt es bezahl- und halbwegs nutzbare Computer für den Hausgebrauch, seit 30 Jahren gibt es für sie Drucker als Peripheriegeräte, und seit 30 Jahren schafft es diese hirnlose Bande von Hard- und Softwareentwicklern nicht, die Dinger dazu zu bringen, was sie angeblich so toll können: drucken.

Gut, drucken können sie schon - irgendwas; allerdings hat das Gedruckte nur in Ausnahmefällen etwas mit dem zu tun, was man eigentlich erwartet hätte. Am Anfang war das auch nicht weiter verwunderlich, musste man doch seinerzeit am Bildschirm kryptische Kommandosequenzen eingeben, die erst auf dem Weg zum Drucker in die endgültige Schrifttype umgewandelt wurden. Heutzutage aber, da kein Mensch mehr weiß, was WYSIWYG heißt, weil alle es als selbstverständlich erachten, am Bildschirm das zu sehen, was beim Druck auch herauskommen soll, ist mir unbegreiflich, warum ich hochauflösende Videos in Sekundenschnelle nach Australien schicken kann, aber im Durchschnitt drei Anläufe brauche, bis der Drucker direkt neben mir das ausgibt, was meine Textverarbeitung einwandfrei am Bildschirm darstellt.

Erster Versuch: Der Drucker blinkt hektisch. Warum? Ach ja, die blaue Patrone ist leer. Egal, das ist ein reiner Text, der braucht nur schwarz, aber das interessiert den Drucker nicht. Es könnte ja vielleicht irgendwann ein blaues Pixel kommen, und dann wäre alles hin.

Zweiter Versuch: Die blaue Patrone ist ausgewechselt. Um sie zu finanzieren, gibt es die nächsten vier Wochen nur Leitungswasser und den Geruch der Pizzeria gegenüber als Nahrung. Der Drucker spuckt wirre Zeichen. Irgendwann beim Patronentausch müssen ein paar Bytes verlorengegangen sein, weswegen aus der einen Seite auf einmal 30 werden - bestehend aus einer Zeile Zeichenmüll gefolgt von einem Seitenvorschub.

Dritter Versuch: Nach einem Neustart des Rechners und des Druckers können wir einen weitern Anlauf starten. Diesmal scheint alles glatt zu gehen, bis die etwas komplexere Grafik am Seitenende gedruckt werden soll. Die Grafik besteht aus vielen einzelnen Logos. Aus irgendeinem Grund überfordert das den Druckertreiber. Testweise schicke ich die gleiche Seite an den Drucker in der Firma, rufe eine Kollegin an und bitte sie, nachzusehen, ob der Druck sauber aussieht. Alles OK, alles drauf. Nur leider brauche ich den Druck hier und nicht 200 km entfernt.

Vierter Versuch: Wir werden nie erfahren, ob die Grafik dieses Mal ihren Weg aufs Papier gefunden hätte, denn leider bleibt das Papier irgendwo im Drucker stecken und faltet sich zieharmonikaartig auf. Das ist zwar auf gewisse Weise ästhetisch, aber nicht das, was ich wollte.

Fünfter Versuch: Diesmal sieht es gar nicht so schlecht aus, sieht man einmal von den Streifen ab, die plötzlich auf dem Papier erscheinen. Wie konnte ich das übersehen - Zeit zum Druckerreinigen.

Sechster Versuch: Nach der Reinigung bläst der Drucker etwa ein Monatsgehalt an Tinte in sein Auffangkissen, damit die Düsen wieder sauber sind, weigert sich dann aber, vom Computer irgendein Kommando anzunehmen. Abhilfe schafft die Neuinstallation des Druckertreibers, die mir bei dieser Gelegenheit einige hundert Megabyte völlig unbrauchbare Zusatzsoftware auf die Platte schaufelt, deren einziger Sinn darin zu bestehen scheint, mir das Firmenlogo des Druckerherstellers möglicht bildschirmfüllend auf dem Desktop unterzubringen und gleichzeitig mit irgendwelchen Hintergrundjobs den Rechner auf die Geschwindigkeit eines Schalterbeamten der Deutschen Reichpost von 1871 zu bremsen.

Ich gebe es auf. Wenn das der Weg sein soll, das papierlose Büro zu erreichen, ist er gelungen - sieht man vielleicht davon ab, dass ich zum Erlangen dieser Erkenntnis drei schwedische Fichtenwälder durch meinen Drucker gejagt habe.

Donnerstag, 13. Juni 2013

Keiner hat die Netzbewegung lieb

Der Netzbewegung muss es unglaublich gut gehen. Erfolg muss sich an Erfolg reihen. Aktive rennen ihr praktisch die Tür ein. Anders ist nicht zu erklären, dass sie alles daran setzt, ihre Leute zu vergraulen - und sich dann noch beklagt, die Leute engagierten sich nicht ausreichend. Zum Verständnis skizziere ich eine beliebige Diskussion auf der Mailingliste einer netzpolitischen Organisation. Ich könnte den Namen nennen, aber eigentlich ist es egal. Das Muster wiederholt sich bei den anderen Organisationen.

Tag 0:

A schreibt in einem Posting: "Wasser ist nass."

B (hat mit A schon lang ein Hühnchen zu rupfen und nimmt begeistert den Ball auf): "Nein, Wasser ist nicht nass." 

C (hat schon seit fast zwei Stunden keine Formaldebatte mehr geführt): "Wir müssen unbedingt vorher definieren, was 'nass' ist." 

A: "Äh, H20." 

B (beschließt, dass Umgangsformen ohnehin nur eitler Tand sind): "Das ist wieder einmal eine weitere Lüge, lies doch endlich mal meine Mails, aus denen einwandfrei hervor geht, dass Wasser viel mehr als einfach nur H20 ist." Es folgen zwei Seiten Rant. 

C: "B hat vollkommen Recht. Wasser besteht eben nicht nur aus H20, sondern noch aus H3O+ und OH- sowie diversen dissoziierten Mineralstoffen und Metallionen. So lange du diesen wichtigen Umständen keine Rechnung trägst, hast du das Wesen von Wasser nicht verstanden, weswegen ich micht jetzt notgedrungen auf dein Niveau begebe und dir Elementarunterricht in Wasserkunde gebe." 

D: "Es heißt Wasser_in."

E: "H3O+ ist zwar ein guter Ansatz, aber leider noch nicht präzise genug. Wie können wir über diese Sache diskutieren, ohne wenigstens diese grundlegenden Begriffe geklärt zu haben?"

Tag 1:

A (schreibt einen zweiseitigen Aufsatz über Wasser)

C: "Das reicht leider nicht aus. Wir müssen auch noch klären, was 'nass' ist." 

A: "Naja, wenn man halt Wasser abbekommen hat." 

E: "Das ist viel zu unpräzise. Ab welcher Menge Wasser spricht man von 'nass'? Reden wir von absoluten oder relativen Mengen? Deckt dieser Begriff auch schweres Wasser ab?" 

A (schreibt einen Konsensantrag) 

B (ist dagegen, weil der Antrag von A ist, offiziell aber, weil Piratenschiffe auf dem Wasser unterwegs sind) 

Zeit (drängt) 

C und E (diskutieren eine Policy, die das Nasssein von Wasser_in regelt - unter der besonderen Berücksichtigung der Tatsache, dass Wasser aus biologischem Anbau an primzahligen Wochentagen bei Menschen mit Migrationshintergrund andere Assoziationen von 'nass' hervorrufen könnte)

Tag 2:


Zeit (drängt noch etwas mehr) 

F (schreibt einen Eilantrag) 

C (findet einen Formfehler und erklärt die Abstimmung für ungültig) 

E (ist generell gegen Schnellanträge und begründet das mit Regularien aus dem Wiki)

F: "Entschuldigung, das Wiki ist so wahnsinnig gut strukturiert, ich kann leider die entsprechenden Regeln nicht finden." 

E: "Jetzt reicht's mir aber. Wie oft muss ich das denn noch erklären? Wer sich auch nur ein bisschen für die Sache interessiert, sollte wenigstens die Zeit aufbringen, das Wiki zu lesen." 

F: "Hab's verstanden. Wo liegt die Seite nun?" 

E: "Meine Güte, das ist doch sonnenklar: wiki/intern:Abstimmungen/Diverses/2003/Meetings/Berlin/Abgeschlossen/Antraege/Policies/Meta/Schnellabstimmung. Ich weiß wirklich nicht, was du bei uns mitreden willst, wenn du nicht einmal das weißt." 

A: "Ich will ja nicht drängeln, aber die Zeit wird nun wirklich knapp." 

C: "Hättest du mal von Anfang an die Sache sauber durchgezogen, müssten wir jetzt nicht wieder hopplahopp alles übers Knie brechen." 

A: "Dann lass uns doch eine normale Abstimmung durchziehen." 

C: "Geht nicht, die Schnellabstimmung läuft doch schon." 

A: "Ich dachte, die sei ungültig." 

C: "Es gibt keine Policy, die das regelt." 

E: "Wir brauchen unbedingt, eine Policy, mit der wir bestimmen, wie über das Abstimmen über Definitionen entschieden wird."

C: "Wie stimmen wir über diese Policy ab?" 

E: "Stimmt, wir brauchen unbedingt eine Policy, die über das Abstimmen über Policies entscheidet, die über das Abstimmen über Definitionen regeln." 

C: "Wo wir gerade dabei sind, sollten wir unbedingt die Policies im Wiki überarbeiten, da sie nicht klar genug regeln, ob Abstimmungen auch dann durchgeführt werden können, wenn der Browser keine Cookies zulässt."

Tag 3:

Nach einigem Hin und Her hat man sich auf eine Resolution geeinigt, die bis hinunter auf Quark-Ebene den Aufbau von Wassermolekülen regelt, jedoch offen lässt, ob es nass ist, weil die Bewohnenden von Überschwemmungsgebieten oder Wüstenregionen sich möglicherweise diskriminiert fühlen könnten. Ab Seite 20 behandelt ein längerer Exkurs die Frage, wie man dazu steht, dass Piratenschiffe auf Wasser fahren können und einigt sich darauf, dass man dies unter der Bedingung akzeptieren kann, dass zeitgleich mindestens eine Entenfamilie und zwei Tannenzapfen in maximal 10 Metern Entfernung schwimmen. Sollte man sich in einem Gebiet befinden, in dem zufällig keine Enten oder Tannen stehen, kann möglicherweise ein Delfinschwarm aushelfen, sofern die Delfine sich vorher eine Woche lang vegan ernährt haben. E und C haben sich wegen schwerer formaler Bedenken am regelkonformen Zustandekommen des Kompromisses dazu entschlossen sich dagegen zu enthalten und erklären auf die verblüffte Nachfrage, was darunter zu verstehen sei, das stünde nun wirklich alles im Wiki und sei in einem Mailinglistenpost aus dem Jahr 2008 verlinkt worden,  wenn man selbst für eine simple Recherche im Mailinglistenarchiv zu faul sei, könne nun wirklich nicht mehr geholfen werden.

Trügerische Ruhe (kehrt ein)

Tag 4:

G: "Wasser ist nass."

A: "Hatten wir das nicht schon mal?" 

B: "Das hättest du wohl gern so. Du hast schon beim letzten Mal ohne jede Absprache das Thema durchgeprügelt. Ich habe endgültig die Nase voll von deiner Gutsherrenattitüde. Wir wissen doch alle, wie gefährlich nasses Wasser sein kann (zwei Seiten Rant folgen)." 

C: "Ich sehe da ebenfalls noch Diskussionsbedarf."

E: "Das müssen wir endlich mal sauber regeln."

Ich breche an dieser Stelle das Protokoll ab. Verstehen Sie jetzt, warum die Netzbewegung nicht voran kommt?

Sonntag, 2. Juni 2013

Buchkritik: Lutz Heuser: Heinz' Life

Dank der Bundeszentrale für politische Bildung kommt man sehr günstig an einige Bücher, die im normalen Buchhandel erheblich teurer und - so meine Meinung im vorliegenden Fall - ihr Geld nicht wert sind. "Heinz' Life" sind die fiktiven Tagebuchaufzeichnungen eines 1962 geborenen Mannes bis ins Jahr 2032. Heinz beschreibt vor allem seine Erfahrungen mit Computern, die anfangs noch riesengroße, den Spezialisten vorbehaltene Klötze sind, in der Gegenwart immer weiter schrumpfen und - so die These des Autorenteams - in der Zukunft sich so weit in Alltagsgegenstände integriert haben werden, dass wir sie als Computer gar nicht mehr wahrnehmen. Die insgesamt 36 Autoren haben dazu jeweils anekdotenhafte und biografische Beiträge gesammelt, die - mal mehr, mal weniger auffällig zusammengestrickt - das Leben des ungebrochen technikeuphorischen Heinz erzählen.

Hier setzen auch meine beiden Hauptkritikpunkte an: Firmenwerbung und bis an die Grenze der Realitätsverleugnung gehende Zukunftsgäubigkeit. Zum Einen merkt man einigen Kapiteln sehr deutlich an, bei welcher Firma deren Verfasser arbeitet. So trifft Heinz mehrfach auf die Firma SAP, und - hey - die macht ja tolle Dinge. Jetzt raten Sie mal, für wen zehn der Autoren arbeiten oder gearbeitet haben.

Doch es ist nicht an mir, die historische Relevanz einer Firma zu beurteilen, die nach meinem Empfinden ähnlich wie Microsoft einen Markt allein deswegen mit einem mittelmäßigen Produkt beherrscht, weil alle Anderen den Kram ebenfalls einsetzen. Fünfzig Millionen Fans können nicht irren. Was mich wirklich ärgert, ist die Blauäugigkeit, mit der Fragen wie Datenschutz, Überwachungsstaat, Umweltverschmutzung, globale Erwärmung und der Abschied vom Erdöl behandelt werden. Datenschutz? Ja, da gab's ein bisschen Ärger, aber da haben wir ein Gesetz geschrieben, und alles war prima. Nicht einmal ein Gesetz brauchte man gegen mangelde Computersicherheit. Auch das war einst etwas ärgerlich, aber dann hat sich ein kluger Kopf ein Programm ausgedacht, und schon hatten die bösen Hacker keine Chance mehr. Mensch, warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Klimawandel und abschmelzende Polkappen? Killefitz, da findet schon bald jemand alternative Energieträger. Damit sind dann auch gleich alle Fragen beantwortet, wie man beispielsweise Dünger, Medikamente und Plastik herstellen soll, wenn es einmal kein Öl mehr gibt - und die Polkappen wachsen auch schon wieder. Ich selbst glaube ja auch an eine gute Zukunft, aber in vermute, dass die oben angesprochenen Herausforderungen erheblich mehr als das Fingerschnippen erfordern, mit der sie "Heinz' Life" abhandelt. Solche Kapitel mögen in den 50er und 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts noch zeitgemäß gewesen sein, heute sieht man die Lage etwas differenzierter.

Das heißt nicht, dass ich das Buch komplett verdamme. Es liest sich gut, und einige Anekdoten sind durchaus unterhaltsam. Für gerade einmal einen Euro bekommt man schon einen ordentlichen Gegenwert. Mehr Geld hätte mich aber auch geärgert.

Autor: Lutz Heuser, Seiten: 333, Erscheinungsdatum: 13.08.2010, Erscheinungsort: Bonn, Bestellnummer: 1067 Kosten: 1 €

Mittwoch, 29. Mai 2013

Die Piraten sind hässlich und riechen aus dem Hals

Ist es das, was ihr hören wollt?

Meine Güte, ich habe auch mit stetig wachsender Befremdung gelesen, welche Spinner bei den Piraten Gehör finden, wenn sie nur laut genug herumkreischen, aber wen es interessiert: Das gleiche Phänomen kenne auch aus anderen Parteien, nur tragen die es nicht so öffentlich aus. Ich selbst war bis zur Jahrtausendwende eineinhalb Jahrzehnte Mitglied einer Partei, und was ich da an Dummheit, Verlogenheit, intrigantem Verhalten, Hinterhältigkeit sowie Missachtung demokratischer Prinzipen erlebt habe, kann locker mit dem mithalten, was ich als seitdem Parteilose bei den Piraten sehe.
Besonders albern finde ich die reflexhafte Ablehnung einer Aktivität, sobald sie mit den Piraten in Verbindung gebracht werden kann. Melden Mitglieder der Partei eine Demonstration an, setzen sie eine Petition auf, ja selbst wenn nur ruchbar wird, dass die Domain einer Aktionswebsite einem Parteimitglied gehört, geht das Geschrei los, die Piraten assimilierten nach Borgmanier die Netzbewegung. Halten sich die Piraten zurück und passiert nichts, geht das Geschrei los, die Piraten verrieten ihre netzpolitischen Wurzeln und statt sich um dieses immens wichtige Thema zu kümmern, widmeten sie sich lieber parteiinternem Gekabbel. Besonders absurd: Kommt aus der Netzbewegung die Initiative zu einer Aktion, zu der alle Parteien eingeladen sind und sind die Piraten die Einzigen, die sich daraufhin in Bewegung setzen, während alle anderen Parteien lieber zusehen, wie sie den Rechtsstaat möglichst effizient abbauen - ist die Aktion verwerflich, weil die einzige beteiligte Partei die Piraten sind. Als wenn die etwas dafür könnten, wenn anderen Parteien unsere Anliegen egal sind.

Um es klar zu stellen: Ich bin mittelschwer abgestoßen vom Bild, das die Piraten im Verlauf des letzten Jahres in der Öffentlichkeit geboten haben und werde mir bis zur Bundestagswahl sehr gründlich überlegen, wem ich meine Stimme gebe. Einige Mandatsträger der Piraten brauchen meiner Meinung nach eine Therapie und keinen Parlamentssitz. Andererseits kenne ich auch genug Piraten, mit denen ich in den letzten Jahren sehr gut zusammenarbeiten konnte. Mir ist offen gesagt fast egal, wie jemand heißt, der meine Interessen vertritt, so lange sie ihre Arbeit erledigt., Mein Leben ist zu kurz, als dass ich es mit dem Pflegen von Vorurteilen verbringen wollte.

Montag, 27. Mai 2013

Mehr Überwachungskameras!

Merkt ihr lächerlichen Datenjammerer und Freiheitswinsler, die Ihr ständig und lauthals über die zunehmende Kameraüberwachung lamentiert, dass Ihr Euch verrannt habt, dass Eure gebetsmühlenartig vorgetragene Litanei, Kameras seien teures Spielzeug, brächten nichts und dienten allenfalls dem Voyeurismus von Kontrollfanatikern, von den Tatsachen schon längst eindrucksvoll widerlegt sind? Nehmen wir ein ganz simples Beispiel: London, eine der Metropolen mit der höchsten Kameradichte der westlichen Welt, wo ein Wirrkopf vor kurzem versucht hat, einen britischen Soldaten brutal zu ermorden und allein durch das beherzte Eingreifen der Kameras Schlimmeres verhindert werden konnte. Hier haben wir doch wieder einmal eindrucksvoll belegt, dass und wie Kameras zu unserer Sicherheit beitragen:

Kameras schrecken ab

Verbrecher scheuen das Licht der Öffentlichkeit. Keiner ist so dumm, sich minutenlang filmen zu lassen und sich vielleicht noch seiner Tat zu brüsten.

Kameras sorgen für schnelles Eingreifen

Dank der Kameras wissen die Behörden immer, was wo los ist und können sofort eingreifen. So dauerte es in London nur 20 Minuten, bis die Polizei eintraf. In anderen Städten schafft man es in dieser Zeit vielleicht gerade einmal, einen Krankenwagen zu schicken und den Verletzten ins nächste Krankenhaus zu bringen.

Kameras beugen vor


Der besondere Clou bei Kameras ist deren vorbeugende Wirkung. Falls sich eine der Polizei bekannte verdächtige Person auffällig verhält, können die Sicherheitsbehörden einschreiten, bevor etwas passiert.

Was braucht ihr Fortschrittsverweigerer denn noch? Muss erst jemand sterben, bevor ihr begreift, wie dringend wir weitere Überwachungskameras benötigen?