Dienstag, 5. November 2013

Oberlehrer und ihre Suchmaschinen

Es ist der 5. November, Guy-Fawkes-Day in Großbritannien und Anlass für viele Anonymous-Aktivistinnen, mit Masken aus "V for Vendetta" Aktionen durchzuführen. Twitter - inzwischen das Leitmedium für in immer größeren Mengen mit zunehmender Aufregung mit stetig wachsender Häufigkeit durchs Dorf getriebene Säue - erreicht in diesen Stunden wieder einmal die Grenzen seiner Lesbarkeit. Ich bedauere das, denn die Aktionen an sich sind bestimmt gut, doch die Penetranz, mit der ich gerade zwangsbeglückt werde, nervt etwas.

Das bin ich aber bereit zu tolerieren. Was meine Geduld wirklich strapaziert ist der Effekt, dass jede Bewegung eine Gegenbewegung hervorruft, und in diesem Fall sind es die Oberlehrerinnen, die bisher alles, worin auch nur ein Hauch von Leben steckte, erfolgreich totgeschwätzt haben. In diesem Fall haben sie - was für ihre Intelligenzstufe schon eine Leistung darstellt - eine beliebige Suchmaschine angeworfen - vorzugsweise http://www.ecosia.org/ weil man für lausige Suchergebnisse wenigstens das gute Gefühl bekommt, der Welt einen Gefallen erwiesen zu haben - und nachgesehen, wer dieser Guy Fawkes überhaupt war. Dabei hat sich herausgestellt, dass der Kerl mitnichten ein heroischer Freiheitskämpfer, sondern in Wirklichkeit ein religiöser Fanatiker war, der einen Bombenanschlag auf das britische Parlament versucht hat. Nein! Wie furchtbar! Und sowas verherrlichen diese Anonymous-Leute! Wie kann man nur! Das müssen wir sofort in diesen Twitter hineinschreiben.

Historische Figuren werden umgedeutet. Sowas gab's noch nie. Karl der Große beispielsweise gilt als die europäische Lichtgestalt. In der Tat verhalf er dem von ihm unterworfenen Gebiet zu einer kulturellen Blüte. Dass er dafür vorher Europa mit mehreren ausgeprochen blutig geführten Kriegen überzog, wird dabei gern vergessen.

Natürlich geht es auch eine Spur kleiner. Egal ob der Schinderhannes, Jesse James oder Klaus Störtebeker - immer wieder werden ganz gewöhnliche Verbrecher zu Helden umgedichtet. Ohne meiner eigenen Religion zu nahe treten zu wollen: Das gesamte Christentum sieht keine Schwierigkeiten darin, einen Religionsstifter zu verehren, von dessen historischer Person nahezu nichts aus neutralen Quellen belegt werden kann. Ich finde das auch nicht schlimm. Mitunter ist es eben interessanter, aus einer Legende oder einem idealisierten Bild Handlungsrichtlinien für das eigene Leben abzuleiten, als wenn man sich an die harten Fakten hält. Der Mensch ist nun einmal keine Lichtgestalt, sondern hat immer neben seinen vielen guten Eigenschaften auch ein paar sehr düstere Seiten, die einfach nicht als Vorbild taugen. Nehmen Sie sich Stauffenberg. Der Mann war kein Demokrat, sondern wollte eine Oligarchie herbeibomben. Egal, er wollte Hitler beseitigen. Selbst von Dietrich Bonhoeffer gibt es Äußerungen, die so gar nicht zum bedeutenden Theologen und Widerstandskämpfer passen. Was wir bewundern, ist der Mensch, der für seine demokratische, humane und friedliche Überzeugung den Tod in Kauf nahm.

Am historischen Guy Fawkes ist wenig, was man ernsthaft bewundern könnte. Selbst bei V kann man sich darüber streiten, ob seine Bombenanschläge, Folterungen und von sehr individuellen Rachegefühlen geprägten Morde im realen Leben Vorbildcharakter haben. Wenn man davon aber abstrahiert, den Widerstand gegen ein Verbrecherregime sieht und dann noch berücksichtigt, dass V niemals seine Identität preisgibt und ganz bewusst stirbt, bevor der von ihm gestartete Aufstand Erfolg hat, zeigt sich die eigentliche Botschaft: Wir brauchen keinen neuen Führer, keinen unangreifbaren, unnahbaren Superhelden, der uns sagt, wo es langgeht. Es geht darum, richtig zu handeln, egal wer.

In diesem Sinne einen schönen 5. November.

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