Sonntag, 31. August 2014

Traditionelles Kreislaufen

Hätte ich in den letzten Wochen alle Tweets mit #fsa14 herausgefiltert, still wäre es in meiner Timeline geworden. Wenn ich mir ansehe, wie engagiert "die Netzbewegung" (ich weiß, Triggerwort, ich nutze es auch nur, um euch zu ärgern) für diese "Großdemonstration" geworben hat, wie wenig Gekabbel es dieses Mal zwischen den verschiedenen Interessensgruppen gab und dass wir seit über einem Jahr Zeuge sind, wie Geheimdienste ohne jede Kontrolle ihr komplett eigenes Spiel spielen, hätte man annehmen können, dass wirklich viele Menschen auf die Straße gehen. Das war nicht der Fall. Glaubt man den Veranstaltern, kamen 6.500 Menschen, andere Schätzungen sprechen von 5000 oder gar 3000. Glaubt man den (umstrittenen) Vorjahreszahlen, hat sich die Teilnehmergröße halbiert, wenn nicht sogar gedrittelt. Das ist zwar noch kein Debakel, sollte aber endlich dazu führen, dass einige Leute ins Grübeln kommen. Ich will ja niemandem zu nahe treten, aber die Animagic, eine andere Traditionsveranstaltung komisch gekleideter Realitätsverweigerer, lockt doppelt so viele Leute in die rheinische Provinz. Als vor einigen Jahren die Reaktoren von Fukushima platzten, kamen allein in das 300.000-Seelen-Kaff, in dem ich damals wohnte, 7000 Menschen - mit zwei Wochen Vorlaufzeit und Dutzenden parallel stattfindenden Demonstrationen in anderen Städten. Glaubt ihr immer noch, dass euer Paranoikerkarneval die beste Idee nach Erfindung von geschnitten Brot ist?

Aus demonstrationsgewohnter Berliner Sicht war euer Traditionsumzug eine zu groß geratene Warteschlange - keine Zahl, derer man sich zu schämen bräuchte, aber eben auch eine Zahl, welche die Frage nach dem Verhältnis von Aufwand und Nutzen laut werden lässt. Wieder einmal haben, nachdem im April der Termin bekannt gegeben wurde, weite Teile der Netzbewegung alles stehen und liegen gelassen, um sich fürderhin der Vorbereitung dieser Veranstaltung zu widmen. Plakate wurden gestaltet, gedruckt, verteilt und geklebt, Handzettel in Großauflage in die letzten Winkel der Republik gestreut, Busse und Fahrgemeinschaften organisiert. Wer für irgendetwas Anderes Geld und Leute brauchte, hatte schlechte Karten. Neinein, die "Effessaa" geht vor, keine Zeit.

So wurde wieder einmal mit immensem Aufwand ein moderat gutes Ergebnis erzielt, und absurderweise ist es gerade diese Ineffizienz, die solche Projekte gegen jede Kritik abschirmt: Wagt es jemand, auch nur den Hauch eines Makels an Organisation oder Durchführung zu erwähnen, bekommt er sofort vorgehalten, wie viel freiwillige, unbezahlte und anstrengende Arbeit hier investiert wurde. Wenn sich jemand an den Strand stellt und versucht, mit einem Sieb das Meer leer zu schaufeln, bekommt er in funktionierenden Gesellschaften einen guten Therapeuten. Ist es ein Ehrenamtlicher, stellen sich alle Leute um ihn herum auf und bewundern ihn. Mehr noch: Aus dem Ergebnis, dass er nach stundenlangem Geschaufel nicht einmal einen Teelöffel voll Wasser zusammengeschippt hat, schließen sie, dass noch viel mehr Leute mit noch viel mehr Sieben noch viel mehr Zeit mit Wasserschaufeln verbringen müssen, um den armen Kerl zu unterstützen. Niemand kommt auf die Idee, das Werkzeug in Frage zu stellen. Niemand wagt es zu fragen, wozu das ganze Wasserschippen überhaupt gut sein soll, und so verbringen jeden Sommer Heerscharen Freiwilliger Monate ihres Lebens mit einer Aufgabe, deren einzige Rechtfertigung darin besteht, dass sie so wahnsinnig arbeitsintensiv ist.

Es mag ja sein, dass es für viele von euch das Größte ist, Leuten zuzujubeln, während sie Platitüden in Mikrofone schreien, dass ein Argument erst dann so richtig prima ist, wenn es sich reimt und mit tausend Leuten rhythmisch skandieren lässt, es mag sein, dass für euch politischer Diskurs erst mit Trillerpfeifen und Sambagruppen ordentlich geführt wird - mir kommt das ehrlich gesagt etwas dünn vor, und ganz ehrlich: Bewegt bekommt ihr damit nichts.


Vielleicht ist es an der Zeit, mit einem Vorurteil aufzuräumen, das sich hartnäckig im Politikunterricht hält, aber deswegen nicht weniger falsch ist:

In einer Demokratie entscheidet nicht immer die Mehrheit.

Natürlich gibt es sie, die Abstimmungen im Bundestag, aber meist wissen die wenigen anwesenden Abgeordneten gar nicht, worüber sie abstimmen. In der Regel ging vorher eine Fraktionsorder heraus, an die man sich hält, weil die Experten in den eigenen Reihen schon wissen, was richtig ist.

Erinnert sich noch jemand an die Debatte über Internetzensur im Jahr 2009? Damals konnte man praktisch fragen, wen man wollte: Internetzensur fanden sie toll. Nur ein Splittergrüppchen aus zwei Prozent Piraten und ein paar Krümeln bei Grünen, FDP und der SPD war dagegen. Das hätte niemals für das Aus gereicht. Trotzdem wurde das Gesetz ein halbes Jahr später gestrichen - im Prinzip nur auf Drängen einer Handvoll FDP-Abgeordneten. Das war keine Mehrheitsentscheidung. Die CDU wollte einfach keinen Stress mit dem Koalitionspartner.

Entscheidungen werden in Demokratien oft nicht deswegen getroffen, weil eine objektiv messbare Mehrheit dahinter steht, sondern weil eine kleine Gruppe die öffentliche Diskussion bestimmt. Erinnern wir uns an die Rücktritte Guttenbergs, Köhlers und Wulffs. Hat da jemals jemand gefragt, ob wir diese Leute loswerden wollen? Erinnern wir uns an den Solidaritätszuschlag, Erhöhung von Sozialversicherungsbeiträgen, Kostensteigerungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung, Mehrwertsteuererhöhungen, Diätenerhöhungen und dem Beitritt zum Euro. Hinter keiner dieser Entscheidungen dürfte zu irgendeinem Zeitpunkt eine Mehrheit gestanden haben. Ich sage nicht, dass nicht die eine oder andere dieser Entscheidungen sinnvoll und nützlich war, aber auf einem Mehrheitsbeschluss basierten sie nicht.

Genau das sollte aber der Netzbewegung zu denken geben: Man muss nicht mit ein paar tausend Leuten jedes Jahr sinnentleert in Berlin im Kreis laufen, um die Republik zu ändern. Streng genommen ist das sogar genau der Weg mit der geringsten Erfolgsaussicht. Entscheidungen fällt man in diesem Land mit Lobbyarbeit.

Lobbyarbeit, was für ein böses Wort. Dabei bedeutet es nur, dass man Überzeugungsarbeit leistet, dass man Argumente liefert, keine Parolen. Trillerpfeifen und Transparente beeindrucken Abgeordnete nicht, zumindest nicht, wenn dahinter eine maximal vierstellige Zahl Personen steht. Die meisten Abgeordneten erinnern sich noch an Zeiten, zu denen man ganz vorsichtig ab 10.000, eher 20.000 Menschen von einer Großdemonstration sprach. Wer diese Zahlen nicht dauerhaft bieten kann, muss eben auf andere Weise überzeugen, und das geschieht eben nicht, wenn man mit dem Promi am Lauti das Transpi hochhält und Flugis verteilt, sondern jenseits der Kleinkindersprache erklären kann, warum Freiheitsrechte und Datenschutz wichtig sind.

Sonntag, 10. August 2014

NSFW - Nachruf auf einen Podcast

Es war das Jahr 2009 - das Jahr der Netzbewegung. Lang hatte es sich angebahnt, jetzt war offenbar der Zeitpunkt gekommen. Das Internet war lang genug schnell und billig, um nicht nur ein paar Technikenthusiasten und Berufssurfer anzulocken, sondern um Heimat für alle zu bieten, die wussten, was ein Browser ist. Ganz zart deutete sich bereits an, dass auch mobiler Datenverkehr eine große Zukunft haben könnte. Zwar saß in der Bahn noch nicht jeder über sein Telefon gebeugt, aber selten war dieser Anblick auch nicht mehr. Vieles war im Auf- oder Umbruch. Soziale Netze waren das große Thema, aber welche von ihnen am Ende übrig blieben, war noch nicht entschieden. Eine Bundestagswahl stand an - eine Wahl, in der die ohnehin nicht als Liebeshochzeit zustande gekommene Große Koalition klären wollte, wer künftig weiter regieren sollte: Schwarz-Gelb oder Rot-Grün. Das große Aufregerthema des kommenden Wahlkampfs war noch nicht gefunden, aber eins wusste man: Wer dieses Thema besetzen kann, verbessert seine Chancen enorm.

In dieser etwas aufgeladenen Stimmung kam die damalige Bundesfamilienministerin auf die Idee, sich als die große Kinderschützerin zu profilieren. Der Weg sah vermeintlich idiotensicher aus: Man baut im traditionell technophoben Deutschland das Internet als Feindbild auf. Dort, so lautete die Botschaft, wimmle es nur so von Menschen, die Kinder vergewaltigten, davon Bilder anfertigten und sie für horrende Summen verkauften. "Millionenbeträge" wechselten dort monatlich den Besitzer, verkündete die Ministerin. Die Lösung sei ebenso simpel wie effektiv: Netzsperren, Stopschilder.

Unschuldige Kinder auf der einen, das böse Internet auf der anderen Seite - was konnte da schon großartig schief gehen? Viel. Innerhalb weniger Wochen formierte sich im bis dahin politisch eher desinteressierten Internet ein Protest. Man sprach nicht von "Sperren" sondern von "Zensur", allen voran eine bis dahin komplett unbedeutende Gruppe, die sich "Piratenpartei" nannte und das Sommerthema werden sollte.

Als Nebeneffekt dieses Protests wurde sich "die Netzgemeinde" (ich weiß, dass bei diesem Wort viele Leute zusammenzucken) plötzlich ihrer selbst bewusst. Trotz aller Unterschiede wurde schnell klar: Man teilt gewisse gemeinsame Sichtweisen, Interessen und Humor. So weit im Detail die Auffassungen voneinander abweichen mögen - es gibt eine Gruppe von Menschen, die das Netz als ihren Lebensraum auffassen, und dieses Gefühl begann sich im Jahr 2009 zu manifestieren.

Eine Generation von Netzbewohnern hatte ihr Erweckungserlebnis, und NSFW lieferte den Soundtrack. NSFW, "Not Safe For Work", war ein völlig wirres Podcastexperiment, ins Leben gerufen von Tim Pritlove, einem Podcaster der ersten Stunde, der seinen Freund Holger "Holgi" Klein, einen erfahrenen öffentlich-rechtlichen Rundfunkmoderator einlud, um ohne jedes Konzept einfach über alles zu reden, was ihnen gerade in den Sinn kam. Die beiden Moderatoren konnten unterschiedlicher kaum sein: Tim, CCC-Urgestein, langjähriger Chaosradio-Redakteur und vielen mit seinem davon abgeleiteten Format "Chaosradio Express" bekannt, der eingefleischte und kenntnisreiche Nerd, der aber aus Sicht des Vollblut-Radiojournalisten Holgi nicht die leiseste Ahnung hatte, wie man dieses Wissen knackig rüberbringt. Holgi hingegen war aus Tims Sicht ein Dampfplauderer, der zwar auf Knopfdruck losreden konnte, dabei aber zu seicht blieb, um von einem Nerd als ernsthafter Inhalt wahrgenommen werden zu können. Tim zauberte ein Nerdthema nach dem nächsten aus dem Hut, und Holgi freute sich mit der liebenswerten Begeisterung eines Kindes darüber oder kommentierte aus der Perspektive des freundlich interessierten Außenstehenden. Sendezeiten spielten keine Rolle. Zwei Stunden waren die Regel, aber es konnten auch schnell drei werden. Obwohl die Sendung kein erkennbares Konzept hatte und sich die beiden auch durchaus einmal nur damit beschäftigten, die verschiedenen Knöpfe ihres Effekgeräts auszuprobieren, funktionierte das Durcheinander großartig. Die Sendungen waren lustig, unterhaltsam, und auch die ernsthafteren Passagen waren sehr anregend. Man musste nicht unbedingt die Standpunkte teilen, aber als intelligenter Denkanstoß taugten sie fast immer.

Die Kunde vom durchgedrehten Chaotenpodcast sprach sich herum, und die Zuhörerzahlen stiegen - so stark, dass die Sendungen rechtlich gesehen schon als Hörfunk einzuordnen waren. Tim und Holgi stümperten sich fröhlich durch ihr nicht vorhandenes Programm, und ihre Hörer lauschten mit Begeisterung.

Nun weiß jeder, der sich ein wenig mit Mathematik beschäftigt hat, dass dem Chaos automatisch geordnete Unterstrukturen innewohnen. Für NSFW bedeutete dies, dass sich nach einiger Zeit gewisse Regeln einschliffen. Aus der überraschend eingetroffenen Hörerpost entwickelte sich ein fester Programmbestandteil, in dem sich Tim und Holgi mitunter stundenlang der Aufgabe widmeten, dutzende Pakete auszupacken, deren Absender sich gegenseitig beim Versuch zu übertrumpfen versuchten, immer obskurere Dinge zu verschicken. Genau wie aber ein einzelner vor Begeisterung kreischender Fan komplett untergeht, wenn der Rest des Publikums ebenfalls vor Begeisterung kreischt, verschwammen die immer aufwendigeren Pakete zunehmend zu einer diffusen Wolke aufmerksamkeitsheischender Superlative. Gleichzeitig wurde auch immer deutlicher, wie Tim und Holgi der Fankult zu Kopf stieg. Sie begannen, das ursprüngliche Konzept "Wir veranstalten das, was uns gerade Spaß bringt" mit "Was wir veranstalten, ist toll, egal, ob es euch gefällt oder nicht" zu verwechseln. Aufkeimende Kritik, stundenlanges Herumgeschmatze könne ja wohl kaum ein Sendekonzept ersetzen, wurde mit einem kaltschnäuzigen "dann hört's euch eben nicht an" abgebügelt, begleitet vom Fanboychor, der jede nicht hinreichend laut jubelnde Äußerung als Ketzerei betrachtete.

Doch selbst Tim und Holgi ahnten, dass Geschenkeauspacken und Unterhaltungen über sündhaft teure Büroartikel auf die Dauer langweilen, und so kam es zu dem Streit, der aus meiner Sicht den Anfang vom Ende markierte: Tim schlug vor, als roten Faden in jeder Sendung einen Film von Stanley Kubrik zu besprechen, was Holgi zum Gegenvorschlag veranlasste, lieber alle James-Bond-Filme zu besprechen. Vom folgenden, teilweise auf Kleinkinderniveau ausgetragenen Zank, was genau man unter niveauvoller Unterhaltung zu verstehen habe und was von den Vertretern der jeweiligen Geschmacksrichtung zu halten sei, hat sich die Sendung nie richtig erholt. In der Folge häuften sich Szenen, in denen Tim gedankenverloren im Netz herumsurfte, statt die Unterhaltung am Leben zu erhalten, Holgi das genervt kommentierte und Tim nicht minder genervt konterte, genau dieses schweigende Herumgesurfe sei es, was die Sendung überhaupt am Leben hielte.

Der letzte Tiefpunkt bestand in der im Kern interessanten Diskussion um die Frage, ob die Piraten nun komplett durchgeknallt seien, weil sie im Wahlprogramm die Forderung nach einem Weltraumaufzug stehen haben oder ob hier endlich eine Partei den Mumm hat etwas zu fordern, was über den Tellerrand hinaus schaut. Auch diese Diskussion wäre es wert gewesen, gefǘhrt zu werden. Statt dessen gingen die beiden Moderatoren wie pubertierende Teenager aufeinander los.

Kurz darauf kam auch das offizielle Aus, und ich muss sagen: gerade noch rechtzeitig, bevor es peinlich wurde. NSFW hatte seine Zeit. Er war der Podcast, der die Netzbewegung auf ihrem Weg zur gesellschaftlichen Relevanz und noch ein Stückchen darüber hinaus begleitete. Ich verdanke dieser Sendung das Wissen über zahlreiche Meme und reihenweise Denkanstöße zu Netzthemen. Unvergessen und in meinen Augen unübertroffen bleibt Holgis Kommentar zur Lücke zwischen den im Fernsehalter stecken gebliebenen etablierten Parteien und den Netzbewohnern, der sich an einem Wikipediaartikel über die CDU entzündete. Holgi las nur: "Durchschnittsalter 56 Jahre. Entschuldige mich einen Moment." Es folgte ein zehnsekündiger, brüllender Lachanfall. Unvergessen bleibt auch ein weiterer Holgi-Lachanfall, als er erfuhr, dass Club-Mate früher so ähnlich hieß wie das Standardgetränk aus dem Film "Idiocracy". Um es kurz zu fassen: Der Rest der Sendung war gelaufen.

Inzwischen hat sich die Netzwelt aber weiter entwickelt, und mit dieser Fortentwicklung wuchs auch der Bedarf nach stärkerer inhaltlicher Differenzierung. Wenn Tim stundenlange Monologe über seine Podcastsoftware halten möchte und Holgi im Gegenzug ausschweifend über irgendwelche Details beim Konzept seines WRINT-Podcasts schwadroniert, kann man das auch gut in eine eigene Sendung "Tim und Holgi reden über ihre Projekte" auslagern, anstatt damit einen Podcast zu füllen, dessen Name auf sehr viel weniger ausgelutschte Themen und etwas mehr Anarchie hoffen lässt.

So ist wieder einmal ein Ende mit Schrecken besser als ein Schrecken ohne Ende. Tim und Holgi sei Dank für einige großartige Stunden witziger Unterhaltung sowie die Erkenntnis, ein totes Pferd ließe sich nicht dadurch besser reiten, dass man eine größere Peitsche kauft.

Montag, 4. August 2014

Ende einer christlich-muslimischen Waffenbrüderschaft

Auf den ersten Blick ist die Sache einfach: Der Schützenkönig von Sönnern (wer kannte das Kaff überhaupt vor dieser Meldung?) wird unsanft vom Thron gestoßen, weil er kein Christ, vielmehr: Moslem ist. "War ja klar, dieses braune Schützenvereinspack", mag man sich jetzt denken. "Wahrscheinlich verlangten die noch einen Ariernachweis von ihren Mitgliedern, wenn das seit 1945 nicht so einen seltsamen Beigeschmack hätte. Seit wann hat denn Filzrocktragen, Saufen und Rumballern was mit christlichen Grundwerten zu tun?"

Naja, seit das bei denen in der Satzung steht, also seit 1837. Da heißt es nämlich recht deutlich:

[...] Getreu dem Wahlspruch der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften „Für Glaube, Sitte, Heimat“ stellen die Mitglieder der Schützenbruderschaft St. Georg Sönnern-Pröbsting sich folgende Aufgaben:
  1. Bekenntnis des Glaubens durch:
  • aktive religiöse Lebensführung
  • [...]
  • Erziehung zum Werke christlicher Nächstenliebe
  1. Schutz der Sitte durch:
  • Eintreten für christliche Sitte und Kultur im privaten und öffentlichen Leben [...]

Und weiter:

Die Schützenbruderschaft dient ausschließlich unmittelbar christlichen und mildtätigen und gemeinnützigen Zwecken

Nun kenne ich reichlich Muslime, die christliche Grundwerte deutlich überzeugender vertreten als offiziell mit einem Taufschein Ausgestattete, aber spätestens bei dieser Passage sollte klar sein, aus welcher Richtung im Verein der Wind weht:

  1. Die Bruderschaft beteiligt sich geschlossen und mit Fahnen an der Fronleichnamsprozession ihrer Pfarrei. Die Bruderschaft lässt alljährlich drei Hochämter halten:
- am Fest des heiligen Georg, des Schutzpatrons unserer Bruderschaft
- am Samstag beim Schützenfest und
- am Christkönigsfest.
Bei den Gottesdiensten nehmen die Fahnenabordnungen im Chorraum um den Altar Aufstellung.
Und schließlich:

Die Bruderschaft beteiligt sich an der Pflege christlicher und geschichtlicher Kultur der Heimat.

Wahrscheinlich liest kein Mensch die Satzung eines Schützenvereins, bevor er ihm beitritt, und sollte Herr Gedik es dennoch getan haben, spricht es für seine Toleranz, sich solchen Regeln unterzuordnen. Dass Christentum und Islam zwar viele gemeinsame Werte teilen, aber in einigen wichtigen Punkten auch wieder komplett unterschiedliche Religionen sind, sollte sich inzwischen herumgesprochen haben. Ein Moslem kann mit dem wirren Konstrukt einer Dreifaltigkeit nichts anfangen. Für ihn gibt es exakt einen Gott, der nicht irgendwie herumfaltet, und ganz bestimmt ist Jesus aus seiner Sicht nicht sein Sohn, sondern gerade einmal ein Prophet. Die Auferstehung, Kern der christlichen Heilslehre, gibt es aus seiner Sicht nicht. Umgekehrt erkennt das Christentum den Propheten eben nicht als Propheten an, der Q'ran hat für sie keine Bedeutung, und die heiligen Stätten des Islam sowie die damit verbundenen religiösen Pflichten gelten für sie nicht. Manche mögen das als trennend empfinden, ich empfinde es als Bereicherung, durch den Islam noch einmal eine ganz andere Sichtweise kennenzulernen. Wie auch immer: Ein praktizierender Moslem muss in Glaubenskonflikte geraten, wenn er die oben genannten Vereinsziele leben will, ähnlich so wie ein Christ niemals ohne Konvertierung die Gesetze des Islam vollständig leben kann.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: "Ablehnung" ist noch ein sehr sanftes Wort für das, was ich gegen Schützenvereine empfinde. Das spießig-miefige, das diese Leute versprühen, stößt mich ab. Wäre ich Pastorin und einer dieser ordensbehängten Fahnenträger wagte es, sich auch nur in die Nähe des Altarbereichs zu begeben, steckte ich ihm eigenhändig die Fahne an den einzigen Ort, wo sie wirklich gut hinpasst und schöbe ihn zurück in die Bank. Wenn sich erwachsene Menschen außerhalb ihrer Arbeitszeit in Uniformen zwängen, müssen sie schon beim THW oder der freiwilligen Feuerwehr sein, um von mir nicht als vollkommen schwachsinnig angesehen zu werden.

Nun gibt es aber einmal diese Vereine, und wahrscheinlich gehören sie einfach zum Dorfleben dazu. Entsprechend ist es ein gutes Zeichen, wenn sich Herr Gedik dort wohl fühlt. Wer in kontrollierter Umgebung ein wenig mit Schusswaffen herumhantieren will, hat nach aller Erfahrung die damit verbundenen Regeln viel zu sehr verinnerlicht, als dass er damit irgendwelchen Unfug triebe. Es bleibt aus meiner Sicht die Frage, ob die oben zitierten Regeln in dieser Form noch zeitgemäß sind, ob sich die von Herrn Gedik und seinen Vereinsgeschwistern gelebten Werte nicht auch anders als mit dem Wort "christlich" beschreiben ließen, und ob die schon fast aufdringliche Kirchennähe nicht etwas gelockert werden könnte. Damit wäre wahrscheinlich allen Beteiligten geholfen.

Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass die St. Georg Schützenbrüderschaft Sönnern-Pröbsting eine Lösung für dieses Sommertheater findet - zusammen mit ihrem Schützenkönig Mithat Gedik.