Freitag, 8. Dezember 2006

Und wenn du glaubst, es geht nicht mehr, dann redet ein Politiker

Fehlt mir etwas, wenn Counterstrike verboten wird? Nein.

Auch nach mehreren LAN-Parties kann ich nicht verstehen, was daran Spaß machen soll, durch eine nach heutigem Verständnis mittelmäßig animierte 3D-Landschaft zu rennen und Leute zu erschießen. Ich fand es unsinnig, als Vater Staat meinte, mich zum Soldaten ausbilden zu müssen und habe meine Meinung in dieser Hinsicht nicht geändert. Betonung hierbei auf "meine" und "Meinung", nicht auf "objektive" und "Wahrheit".

Als meine digitale Sozialisierung stattfand, war das höchste der Gefühle ein sehr grob gerastertes Männchen, mit dem man bei "Commando" seinen privaten Kleinkrieg veranstalten konnte. Ohne den Poke-Befehl, der mir ein paar zusätzliche Leben verschaffte, säße ich wohl heute noch in der ersten Runde.

Von meinen spielerischen Qualitäten einmal abgesehen: "Commando" war ein Killerspiel, genauso wie "Rambo" oder "Castle Wolfenstein". In der Zeit davor behalfen wir uns mit Stöckern als Gewehrersatz und unbeholfenen Versuchen, Schießgeräusche von sich zu geben. Sind deshalb die heutigen Ü30-Parties Versammlungen von Amokläufern? Gut, von der Musik mal abgesehen.

Weil alle zwei Jahre ein Teenager durchdreht und wild um sich schießend durch eine Schule rennt, müssen alle potenziell gewaltverherrlichenden Computerspiele verboten werden. Ich kann zwar die Argumentationskette nicht ganz nachvollziehen, aber gut, glauben wir es für den Moment. Wo aber bleibt das Verbot von Formel-1-Übertragungen, weil jährlich hunderte von Möchtegern-Schumis durch ihre Fahrweise sich und andere ums Leben bringen? Wo bleibt das totale Alkoholverbot nach den alljährlichen Exzessen zum Karneval und Oktoberfest?

Na, ich merke schon, das ist etwas gänzlich Anderes. Es geht um ein Phänomen, das in einem alten Witz treffend beschrieben wird: Ein Amerikaner, ein Japaner und ein Deutscher bekommen eine neue Erfindung präsentiert. 'Oh, was Neues', sagt der Amerikaner. 'Wie schaffe ich, dass es schneller wird?' - 'Oh, was Neues', sagt der Japaner. 'Wie schaffe ich, dass es billiger wird?' - 'Oh, was Neues', sagt der Deutsche. 'Wie schaffe ich, dass es verboten wird?'

Wer einen Staat regiert, mag ja das eine oder andere selbstlose Motiv haben, unter anderem geht es aber auch um das Gefühl von Macht. Das gibt keiner so gerne zu, deshalb spricht man bei uns lieber von "Verantwortung übernehmen" oder "gestalten können", gemeint ist aber "über andere herrschen". Die Beherrschten sind's auch zufrieden, solange sie das Gefühl haben, dass ihre Führer gute Arbeit leisten. Umgekehrt braucht sich eine Führungsetage nicht um die Akzeptanz ihrer Rolle zu fürchten, wenn sie ihre Entscheidungen vermitteln kann. Genau hier liegt das Problem.

Eltern, die sicher sind, dass ihre Kinder im Zweifelsfall gehorchen, haben keine Schwierigkeiten damit, sie die meiste Zeit sich selbst zu überlassen und ab und zu nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. Eltern, die ihren Kindern misstrauen, rennen beim kleinsten Geräusch sofort ins Kinderzimmer, wühlen in den Schubladen und telefonieren ihnen hinterher. Sie werden sagen, dass ihre Kinder ständig Unsinn verzapfen und man sie deswegen immer kontrollieren muss. Außenstehende sehen ein Erziehungsdefizit, bei dem Kontrollwahn eher kontraproduktiv wirkt.

Seit Mitte der 90er-Jahre hat sich mit dem Internet eine Parallelgesellschaft entwickelt, die sich in weiten Teilen selbst organisiert und sich staatlicher Kontrolle zu einem gewissen Teil entzieht. Es hakt zwar an vielen Stellen: Spamlawinen verstopfen Postfächer, Umgangsformen lassen zu wünschen übrig, aber alles in allem läuft es überraschend gut.

Eltern übersehen bisweilen, dass ihre Kinder erwachsen geworden sind. Sie wollen weiter in den Schubladen wühlen, sie wollen weiter jeden Abend angerufen werden. Um dies zu erreichen, kommen sie auf die tollsten Ausreden. "Wir wollen ja nur dein Bestes", heißt es da. "Es gibt so viel Schlimmes auf der Welt, da müssen wir dich doch beschützen."

Sei es nun New York, Columbine, Erfurt oder Emsdetten: Die Schamfrist, in der man früher ein gewisses Mitgefühl mit den Opfern wenigstens zu heucheln bereit war, ist nicht einmal ansatzweise verstrichen, da können sich die üblichen Volksvertreter nicht mehr beherrschen und verkünden, wo ihrer Expertenmeinung nach die Quelle allen Übels liegt: Im bösen Internet. Da gibt's Nazis, Pornos, Raubkopien und neuerdings auch Counterstrike-Communities. Davor müssen wir doch unsere kleinen Dummerles schützen. Dass man neben der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auch gleich noch unliebsame Meinungen los wird, ist ein Nebeneffekt. Ein Schurke, wer Schlechtes dabei denkt.

Wenn die Chinesen sowas veranstalten, ist es Zensur. Wir hingegen - begleiten den Prozess der Informationsfreiheit.