Sonntag, 20. November 2016

Medienkompetenz

Langsam hat sich herumgesprochen, dass die Wahl tatsächlich gelaufen ist und der wahrscheinlich ungeeignetste Kandidat der Geschichte der Vereinigen Staaten neuer Präsident wird. Ich habe ja die Theorie, dass die Ära der durchgeknallten Autokraten mit bescheuerten Frisuren angebrochen ist: Trump, PutinOrban (na gut, dessen Frisur geht halbwegs), Erdogan (auch hier: Frisur OK, aber der Rest?), Boris Johnson, Kim Jong Un, Kaczynski, Seehofer - wen wollt ihr noch? Sigmar Gabriel? Boris Becker? Passt auf, die Typen, die in der Schule wegen ihres Aussehens bis zum Abitur keine Freundin abkriegen, kompensieren das später und werden Regierungschefs. Ich an eurer Stelle wäre vorsichtig, wen ich als Kind veräpple. Sowas rächt sich.

Die Frage ist: Wie geht es weiter? Die Antwort lautet: Mit Protest. Ich will niemandem zu nahe treten, aber: Das hat bisher super funktioniert. Es ist nicht so, als hätten wir nicht auf allen medialen Kanälen herumposaunt, was für eine Pfeife dieser Trump ist und dass man den überall hinschicken soll, nur nicht ins Weiße Haus. Jetzt guckt mal, wer da sitzt.

Dass die Demokraten irgend einen Fehler begangen haben könnten, ist absurd. Das weisen liberale Internetintellektuelle weit von sich. Nicht die Linken haben versagt, ihre Wähler zu mobilisieren, nein die Rechten haben sich erdreistet, wählen zu gehen.

Geht es darum, die Ursachen für die eigene Misere zu finden, sind die linken und rechten Erklärungsansätze verblüffend ähnlich. Erstens: An uns liegt's nicht. Wir sind Opfer. Zweitens: Man ist uns in den Rücken gefallen. Bernie Sanders, der fiese Hund, hat die Stirn besessen, Hillary Clinton nicht ausreichend enthusiastisch zu unterstützen, nachdem sie ihn mit zweifelhaften Tricks ausgebootet hat. Na, ruft jetzt irgendwer "Dolchstoß"?

Drittens: Die Medien. Auch die haben die Göttlichkeit der Kandidatin nicht genügend herausgestellt, sondern sich in kleinlicher Weise darüber darauf konzentriert, ob es nicht ein wenig stümperhaft ist, die Staatsgeheimnisse des mächtigsten Lands der Welt auf einem selbstgehosteten Server abzulegen - was darüber hinaus auch noch schief ging. Alles nicht wahr! Das sind doch alles nur Kampagnen der republikanisch gesteuerten Lügenpresse!

Wir fassen zusammen: Verschwörungstheorien und Realitätsferne ist es nur, wenn es die Gegenseite bringt. Von uns hingegen kommt nur die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit.

Zeit, einen Begriff in die Runde zu werfen, den es seit Jahrzehnten gibt, der aber offenbar spurlos an vielen Menschen vorbeigegangen ist: Medienkompetenz.

Ihr müsst jetzt ganz tapfer sein, denn das Folgende wird euch nicht gefallen:

Dinge sind nicht notwendigerweise wahr, weil sie in diesem Internet stehen.

Da steht, die Erde sei eine flache Scheibe: falsch! Um das einzusehen, braucht ihr nur einen Tag am Strand und klare Sicht.

Da steht, es hätte niemals Dinosaurier gegeben, gern verbunden mit der Behauptung, es gäbe keine Evolution und die Erde sei gerade einmal 5000 Jahre alt: Blödsinn!

Das erfundene Mittelalter, die gefälschte Mondlandung, die Protokolle der Weisen von Zion: Bullshit! Gerade aber, was das Gefasel von der jüdisch-zionistischen Weltverschwörung angeht: gefährlicher, tödlicher Bullshit. Mit solchem Zeug rechtfertigt man Völkermorde.

Schon seit einiger Zeit überlegen sich die Leute, wie man gegen solche Dinge vorgehen kann. Der neueste Ansatz stammt von Facebook-Chef Mark Zuckerberg. Sein Unternehmen steht in der Kritik, Hatespeech zu verbreiten (was immer genau auch unter diesem Begriff verstanden sein mag), und nach der verlorenen Präsidentenwahl wurde Facebook als einer der Schuldigen identifiziert, angeblich, weil von dort ein Großteil der Verleumdungen gegen Clinton kam und zu ihrer systematischen Demontage beitrugen. Das soll sich jetzt ändern. Zuckerberg hat sich genau überlegt, wie er künftig gegen Falschmeldungen vorgehen will.

Mit anderen Worten: Der größte Medienkonzern der Welt, der mehr Kunden hat als China Einwohner, entscheidet künftig, was wahr ist und was falsch. Wenn ihr künftig eure Timeline lest, könnt ihr sicher sein, dass das dort Geschriebene wahr ist, geprüft vom Ministerium für Wahrheit daselbst.

Katharina Nocun hat kürzlich noch einmal darauf hingewiesen, dass Überwachungs- und Zensurinfrastrukturen auch dann bedenklich sind, wenn sie in den Händen derer liegen, denen wir vertrauen - weil Regierungen wechseln. Wir haben das unter der Obama-Präsidentschaft erlebt: Naja, Drohnenkriege, NSA-Totalüberwachung, Völkerrechtsverstöße in Guantanamo - alles halb so wild, denn der Präsident kann ja so lustige Witze reißen, und außerdem hat er die Krankenversicherung eingeführt. Die reißt alles raus. Tja, nun heißt der US-Präsident ab Januar dummerweise nicht mehr Obama, sondern Trump, und jetzt geht auch den naivsten US-Demokraten auf, dass die Geister, die sie riefen, sich wohl bald gegen sie wenden können.

Für die anstehenden Facebook-Säuberungen heißt das: Selbst wenn man Zuckerberg die besten Absichten unterstützt, fällt es schwer zu glauben, dass sein Plan funktioniert. Zu schwammig sind die Grenzen zwischen seriöser Nachricht und Satire, zwischen Überspitzung und blindem Herumgekeife. Seien sie sicher: Die Gefahr liegt nicht in den offensichtlichen Fällen, sie liegt in den Graubereichen. Um bei meinen eingangs genannten Beispielen zu bleiben: Es gibt seitenlange Artikel, die ausführlich begründen, warum die Mondlandung nie stattgefunden hat und die Evolution eine Erfindung gotteslästerlicher Atheisten ist. In den USA war Kreationismus zumindest zeitweise Unterrichtsstoff und wurde als gleichberechtigte Lehre zur Evolutionstheorie gelehrt. Wer versucht, entsprechende Artikel bei Facebook zu löschen oder wenigstens als unwahr zu kennzeichnen, bekommt die geballte Macht der religiösen Fanatiker zu spüren, von denen nicht wenige Republikaner wählen, und - hoppla, die sind ja an der Macht.

Wir haben erlebt, wie souverän Trump mit Kritik umgeht. Sollte es da nicht wundern, wenn der Präsident seine Finger bei sich behielte und keinen Versuch unternähme, auf die Einteilung Einfluss z nehmen, was bei Facebook wahr und was falsch, was lesenswert und was zu löschen ist? Wer garantiert, dass die Evolutionstheorie nicht bald bei Facebook als verdammenswerte Irrlehre von den Seiten verschwindet?

Viele mögen es bedauern, aber wir haben nun einmal nicht mehr die Achtzigerjahre, in denen drei Fernsehsender, drei Radiostationen und eine Handvoll Zeitungen uns mit Nachrichten versorgten. Es gab ein Informationsoligopol, aber wir konnten relativ zuverlässig sagen, dass die so publizierten Neuigkeiten einer gewissen Vorkontrolle unterlagen und wahrscheinlich einigermaßen den Tatsachen entsprachen. Natürlich gab es auch "Bild", aber wenn man deren Falschmeldungen nicht lesen wollte, kaufte man sie einfach nicht.

Das ist heute anders. Natürlich gibt es auch heute eine Reihe von Internetseiten, deren Nachrichten man trauen kann, aber wenn die Meisten ihr Wissen ihrer Facebook-Timeline entnehmen, wird es schwierig, richtige von falschen Meldungen zu trennen, weil der Freundeskreis eben nicht jedes Posting auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht, sondern das weiterleitet, was ihm interessant erscheint. Ist Facebook daran schuld? Muss Facebook deswegen dafür sorgen, dass wir nur qualitätsgeprüfte Postings zu Gesicht bekommen?

Noch einmal: Wir sind nicht mehr in den Achtzigern, und wir sollten in den vergangenen 30 Jahren gelernt haben, mit der sich ändernden Medienlandschaft umzugehen. Gerade wenn uns eine Nachricht so richtig aufwühlt, sollten wir vorsichtig werden. Ist diese Meldung nicht vielleicht etwas zu sensationell, passt sie nicht etwas zu gut in das, was wir immer geahnt haben? Woher kommt die Meldung? Haben nur Timmi und Babsi das Posting gefavt oder gibt es irgendeine ernsthafte Quelle? Ernsthaft - also nicht Reddit, Twitter oder Tumblr, sondern irgendeine Nachrichtenseite. Was steht sonst noch auf dieser Seite? Ist sie vielleicht nicht gar so seriös, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte?

Es ist mir offen gesagt etwas unangenehm, solche Selbstverständlichkeiten aufschreiben zu müssen, denn eigentlich sollte so etwas zu den Grundtechniken der Nachrichtenrezeption gehören.

Genau dafür gibt es Schulen.

Schulen sind die Orte, an denen ihr gelernt haben solltet, Dinge nicht einfach blind zu glauben, Quellen zu hinterfragen und eigene Recherchen anzustellen. Man hätte euch für Referate, in denen ihr einfach den Wikipediaartikel ausgedruckt und ohne ihn verstanden zu haben abgelesen habt, so lange in die Schulbibliothek einsperren sollen, bis ihr mit etwas herauskommt, was vielleicht nicht ganz so geschliffen daher kommt, bei dem ihr aber jeden einzelnen Satz verstanden habt und belegen könnt.

Ich weiß nicht, was schief gelaufen ist, ob ihr wieder einmal den akademischen Bodensatz als Lehrer vorgesetzt bekamt oder einfach die ganze Zeit nicht aufgepasst habt, aber dann holt ihr es eben jetzt nach. Seid misstrauisch. Glaubt Dinge nicht einfach, nur weil sie euch so gut in den Kram passen. Geht Dingen auf den Grund. Lautstärke und Holzhämmer sind gute Unterhaltung, aber keine Argumente.

Vielleicht erspart ihr uns so Frauke Petry als Innenministerin.

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